Entscheidungsstichwort (Thema)
Unbeachtlichkeit des § 351 Abs. 1 AO bei Änderung eines noch nicht bestandskräftigen Bescheids. Bekanntgabe des Änderungsbescheids am Tag des Ablaufs der Einspruchsfrist. Wirksamkeit einer Einspruchsrücknahme. Frist für die Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Einspruchsrücknahme
Leitsatz (redaktionell)
1. Offen blieb, ob das nicht durch § 351 AO eingeschränkte Einwendungsrecht gegen einen Bescheid, der einen noch nicht bestandskräftigen Bescheid ändert, auch dann gilt, wenn der Änderungsbescheid gem. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO am dem Tag als bekannt gegeben gilt, an dem die Einspruchfrist für den ursprünglichen Bescheid abläuft.
2. Die Unwirksamkeit einer Einspruchsrücknahme kann nicht auf eine durch das FA veranlasste Rücknahmeerklärung gestützt werden, wenn die Rücknahme durch einen Steuerberater als Bevollmächtigten erklärt wird. Eine vorausgegangene objektiv unrichtige Auskunft oder Beurteilung der Rechtslage durch das FA hat in diesem Fall auf die Wirksamkeit der Rücknahme keinen Einfluss.
3. Die Unwirksamkeit einer Einspruchsrücknahme ist gem. § 362 Abs. 2 Satz 2 AO innerhalb eines Jahres nach Rücknahme des Einspruchs geltend zu machen.
Normenkette
AO § 362 Abs. 2 Sätze 1-2, §§ 351, 122 Abs. 2 Nr. 1, § 110 Abs. 3
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Tatbestand
Der Kläger macht die Unwirksamkeit einer Einspruchsrücknahme geltend und wendet sich in der Sache gegen den Einkommensteuerbescheid 1998 vom 12.05.2000, in dem sonstige Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften (Veräußerung von Wertpapieren) gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG i.H. von 128.788 DM der Besteuerung unterworfen worden waren.
Am 10.04.2000 erließ das damals zuständige Finanzamt L. den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1998 (festgesetzte Einkommensteuer: 34.892 DM). Der Klägervertreter beantragte mit Schreiben vom 20.04.2000 eine schlichte Änderung dieses Bescheides und begehrte den Abzug bislang unberücksichtigter Spenden und Steuerberatungskosten als Sonderausgaben (vgl. Rechtsbehelfsakte Bl. 8). Das Finanzamt entsprach diesem Antrag und erließ am 12.05.2000 einen nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheid (festgesetzte Einkommensteuer: 33.408 DM). Gegen den Änderungsbescheid hatte der Klägervertreter Einspruch eingelegt. Er wandte sich aus verfassungsrechtlichen Gründen gegen die Besteuerung der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften und beantragte das Ruhen des Einspruchsverfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem seinerzeit beim BFH anhängigen Revisionsverfahren IX R 62/99 (vgl. Einspruchsschreiben vom 31.05.2000, Rechtsbehelfsakte Bl. 28). Mit Schreiben vom 13.06.2000 (vgl. Rechtsbehelfsakte Bl. 29) teilte das FA L. dem Klägervertreter mit, der ursprüngliche Bescheid vom 10.04.2000 habe nur punktuell, im Rahmen des gestellten Antrages auf schlichte Änderung, überprüft und ggf. geändert werden dürfen. Hinsichtlich der nicht vom Änderungsantrag betroffenen Positionen, insbesondere hinsichtlich der Einkünfte aus Spekulationsgeschäften, sei der Einkommensteuerbescheid unanfechtbar geworden. Gemäß § 351 Abs. 1 AO könne der geänderte Einkommensteuerbescheid vom 12.05.2000, der den unanfechtbaren Bescheid vom 10.04.2000 ändere, nur insoweit angegriffen werden, als die Änderung reiche, eine Änderung sei nur noch hinsichtlich der Steuerberatungskosten möglich. Der restliche Bescheidinhalt könne nicht mehr angegriffen werden und der Einspruch müsse als unzulässig verworfen werden. Der Klägervertreter wurde gebeten, die Erfolgsaussichten des Einspruches unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen zu überprüfen und ggf. auch eine Rücknahme in Betracht zu ziehen. Zum 01.07.2000 ging infolge der Auflösung des Finanzamtes L. die Zuständigkeit auf den Beklagten über. Mit am gleichen Tag beim Beklagten eingegangenen Schreiben vom 25.07.2000 hat der Klägervertreter den Einspruch zurückgenommen (Rechtsbehelfsakte Bl. 31). Am 28.12.2001 erging ein gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geänderter Bescheid für das Streitjahr (Rechtsbehelfsakte Bl. 34, festgesetzte Einkommensteuer: 33.303 DM). Mit am 24.03.2004 beim Beklagten eingegangenem Schreiben vom 22.03.2004 (vgl. Rechtsbehelfsakte Bl. 38f.) machten die Prozessbevollmächtigten die Unwirksamkeit der am 25.07.2000 erklärten Einspruchsrücknahme geltend mit der Begründung, die Rücknahme sei durch eine unrichtige Belehrung des FA L. über die Zulässigkeit des Einspruches im Schreiben vom 13.06.2000 bewirkt worden. Sie begehrten die Fortsetzung des Einspruchsverfahrens und eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung nach Maßgabe des BVerfG-Urteils vom 09.03.2004 2 BvL 17/02, mit dem § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG in der für 1997 und 1998 geltenden Fassung als mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und damit nichtig erklärt wurde, soweit er die Veräußerung von Wertpapieren betraf. Im Anschluss an eine Unterredung beim Beklagten am 23.06.2004, an der neben ...