rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnung und Aufrechnung von Bauabzugssteuer. Begrenzung der Inhaftungnahme eines Leistungsempfängers, der trotz Nichtvorlage einer Freistellungsbescheinigung keinen Steuerabzug vorgenommen hat

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Einbehaltene, angemeldete und abgeführte Bauabzugssteuer kann zum einen zeitlich unbegrenzt nach § 48c Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 und 4 EStG auf Lohn- bzw. Bauabzugssteuer und damit auch auf erst zukünftig entstehende Lohn- bzw. Bauabzugssteuer angerechnet und zum anderen mit jedwedem auch nicht vom Sicherungszweck der Bauabzugssteuer erfassten Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis aufgerechnet werden.

2. Die Inhaftungnahme eines Empfängers von Bauleistungen, der trotz Nichtvorlage einer Freistellungsbescheinigung des Leistenden keinen Steuerabzug vorgenommen hat, kann der Höhe nach nur insoweit ermessensfehlerfrei erfolgen, als im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung gegenüber dem Leistenden offene Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis i. S. v. § 48c Abs. 1 EStG vorhanden sind und/oder aufgrund bestehender offener Ansprüche wegen Lohn- bzw. Bauabzugssteuer zumindest Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass der Leistende auch zukünftig seiner Verpflichtung zur Abführung von Lohn- bzw. Bauabzugssteuer nicht ordnungsgemäß nachkommen wird.

 

Normenkette

EStG § 48c Abs. 1, §§ 48b, 48a Abs. 3; AO § 191 Abs. 1 S. 1, § 5

 

Tenor

Der Haftungsbescheid vom 06.08.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.10.2016 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Tatbestand

Die W. UG erbrachte in den Jahren 2011 und 2012 Bauleistungen an den Kläger, die sie ihn mit 32.117,65 Euro bzw. mit 35.000 Euro in Rechnung stellte. Die Rechnungen wurden vom Kläger in voller Höhe in bar beglichen, obwohl ihm die Leistungserbringerin keine Freistellungsbescheinigung nach § 48b Einkommensteuergesetz –EStG– vorlegte.

Nach Anhörung nahm der Beklagte mit Haftungsbescheid vom 05.02.2015 den Kläger nach § 48a Abs. 3 EStG in Höhe von 12.159 Euro in Haftung, nach dem eine Rückstandsabfrage zur W. UG offene Ansprüche aus den Steuerschuldverhältnissen in Höhe von 14.707,55 Euro ergab, die u.a. auf Nachforderungen wegen Körperschaftsteuer 2011 und 2012 und Umsatzsteuer 2011 und 2012 entfielen.

Dagegen legte der Kläger am 07.03.2015 Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 21.10.2016 als unbegründet zurückwies. Der Kläger sei seiner gesetzlichen Verpflichtung zur Einbehaltung und Abführung von Abzugsbeträgen in Höhe von insgesamt 12.159 Euro nicht nachgekommen. Der Haftungstatbestand nach § 48a Abs. 3 EStG sei nicht streng akzessorisch im Sinne von § 191 Abs. 5 Abgabenordnung –AO– in Bezug auf einen Steueranspruch gegenüber dem Leistenden, weil eine Verknüpfung mit einem bestimmten Steuertatbestand auf Seiten des Leistenden fehle. Die Bauabzugssteuer sei vielmehr ein Sicherungsinstrument für ein Konglomerat von Abgaben, die allgemein aus Bauleistungen resultieren könnten. Ob Steueransprüche gegenüber dem Leistenden bestünden, sei jedoch im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen. Im Streitfall schulde der Leistende sowohl Steuern, die in § 48c Abs. 1 EStG genannt seien (Körperschaftsteuer 2011 und 2012 und Umsatzsteuer 2011 und 2012), als auch an andere Steuern.

Am 23.11.2016 hat der Kläger Klage erhoben.

Der Kläger beantragt:

Den Haftungsbescheid zur Inanspruchnahme nach § 48a Abs. 3 EStG für nicht einbehaltenen und abgeführten Steuerabzug bei Bauleistungen 2011 und 2012 vom 06.03.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung des Finanzamtes vom 21.10.2016 wird aufgehoben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Auf Anordnung des Gerichts hat der Beklagte die im Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung am 21.10.2016 bestehenden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis gegen die W. UG im Einzelnen aufgeführt. Dabei handelt es sich um Körperschaftsteuer 2013 und 2014, Körperschaftsteuervorauszahlung I. bis III. Quartal 2016, Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 2013 und 2014 und zur Körperschaftsteuervorauszahlung I. bis III. Quartal 2016, Zinsen zur Körperschaftsteuer 2013 und Säumniszuschläge zur Körperschaftsteuer 2013 und 2014 und zur Körperschaftsteuervorauszahlung I. bis III. Quartal 2016 sowie Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2013 und 2014 und zur Umsatzsteuervorauszahlung II. bis IV. Quartal 2015 und I. Quartal 2016.

Der Beklagte führt im Klageverfahren weiter aus, die Haftungsinanspruchnahme sei eine Ermessensentscheidung, bei der zu berücksichtigen sei, inwieweit nach den Umständen des Einzelfalls Steueransprüche gegen den Leistenden bestünden oder entstehen könnten. Dies ergebe sich aus dem Sicherungszweck der Bauabzugsteuer. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbeschei...

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