Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen Untätigkeitsklage. Maßgebliche Beteiligung an Umsatzsteuerhinterziehung kein Grund für die Versagung des Vorsteuerabzugs. Keine Schätzungsbefugnis bei Ermittlungsergebnis aufgrund umfangreicher Beweiserhebung. Annahme von – nachweislich nicht getätigten – Inlandsumsätzen wegen der Erstellung unrichtiger Transportbelege
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Voraussetzungen für eine Untätigkeitsklage nach § 46 Abs.1 Satz 1 FGO liegen vor. Das Finanzamt hat ohne Mitteilung eines zureichenden Grunds in angemessener Zeit sachlich nicht entschieden. Die Klage wurde auch nach Ablauf von sechs Monaten nach Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs (§ 46 Abs.1 Satz 2 FGO) erhoben.
2. Die missbräuchliche Einbindung in einen Plan zur Mehrwertsteuerhinterziehung steht dem Abzug der Vorsteuern für innergemeinschaftliche Erwerbe nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG aufgrund der unmittelbaren Verknüpfung mit der Entstehung der Steuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG 1999 nicht entgegen (vgl. Sächsisches FG, Urteil v. 15.10.2008, 8 K 2097/06).
3. Hat das FA unter Ausnutzung strafprozessualer Befugnisse ermittelt, umfangreich Beweise erhoben und ist es auch hinsichtlich der streitgegenständlichen Fragen zu einem Ermittlungsergebnis gelangt, besteht keine Befugnis zur Schätzung nach § 162 Abs. 1 AO.
4. Steht fest, dass Inlandsumsätze mit Handys nicht getätigt wurden, kann das FA solche Inlandsumsätze nicht deshalb annehmen, weil der Unternehmer die Lieferwege für Mobilfunktelefone bewusst verschleiert und sich insofern auch als Beweisverderber betätigt hat.
Normenkette
UStG 1999 § 15 Abs. 1 Nrn. 3, 1, § 1 Abs. 1 Nr. 5, §§ 1a, 6a, 3d S. 2; AO §§ 162, 88
Nachgehend
Tenor
1. Der Umsatzsteuerbescheid vom 06.12.2006 wird aufgehoben.
2. Dem Beklagten werden die Kosten des Verfahrens auferlegt.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob eine Untätigkeitsklage der Klägerin gegen einen vom Finanzamt L. erlassenen Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2000 des Finanzamts L. zulässig und begründet ist.
Die Klägerin wurde am 26.8.1998 in notarieller Urkunde (UR-Nr. A) der Notarin H., L.) unter Beteiligung von He. als Übersetzerin durch Erklärung des R. errichtet. R. übernahm einen hälftigen Geschäftsanteil. Als Sitz der Gesellschaft wurde L. bestimmt. Gegenstand des Unternehmens sollte der An- und Verkauf von Immobilien im eigenen Namen und auf eigene Rechnung mit Ausnahme aller genehmigungspflichtigen Geschäfte nach § 34 c der Gewerbeordnung sein.
Das Finanzamt L. erließ am 19.7.2002 auf Schätzungsgrundlage einen Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2000 über 66,47 Euro. Da von der Finanzkasse 6.164,59 Euro ausgezahlt worden waren, ergab sich für die Klägerin ein Zahlbetrag von 6.231,06 Euro. Als Bemessungsgrundlagen waren innergemeinschaftliche Erwerbe in Höhe von 22.089.674 DM, steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen in Höhe von 19.941.341 DM und steuerpflichtige Lieferungen etc. in Höhe von 816 DM eingegangen. Die Klägerin legte am 15.8.2002 Einspruch ein und eine am 18.9.2002 unterschriebene Umsatzsteuerjahreserklärung vor. Diese Erklärung nahm die Bemessungsgrundlagen des Steuerbescheides auf, enthielt aber einen zusätzlichen Vorsteuerbetrag in Höhe von 12.056,78 DM. Ein dieser Erklärung entsprechender Bescheid wurde am 29.11.2002 erlassen.
Seit dem 17.12.2002 fand bei der Klägerin eine Steuerfahndungsprüfung statt. Hierzu erging ein Abschlussbericht v. 9.11.2006. Der Bericht stellt zum Sachverhalt fest: „Nach den bisherigen Feststellungen der Steuerfahndung ist davon auszugehen, dass die in den Rechnungen der Firma H. GmbH ausgewiesenen Waren existent sind. Bei den Lieferanten handelt es sich nach Auskunft der i.-ausländischen Finanzbehörden um wirtschaftlich aktive und ihren steuerlichen Verpflichtungen nachkommende Unternehmen. Bei den angeblichen Erwerberfirmen handelt es sich in allen Fällen um wirtschaftlich nicht aktive Unternehmen, die nur gegründet wurden, um den tatsächlichen Rechnungs- und Lieferweg der Waren zu verschleiern.” (S.3). Die Steuerfahndung ordnete die Abnehmer der Klägerin als Scheinunternehmen oder sog. missing trader ein, nahm an, dass diesen Unternehmen der Erwerb der Waren nicht zuzurechnen ist und folgerte, dass die Klägerin die Voraussetzungen der Steuerbefreiung einschließlich Umsatzsteuer-Identifikationsnummer für die innergemeinschaftlichen Lieferung nicht buchmäßig nachweisen (§ 17c Abs.1 UStDV) könne. Dementsprechend wurden die innergemeinschaftlichen Lieferungen als steuerpflichtig behandelt. Ein entsprechender Umsatzsteuerbescheid erging am 6.12.2006. Es wurden Umsatzsteuern in Höhe von 1.398.044,82 Euro festgesetzt.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein und beantragte A...