Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug für innergemeinschaftliche Erwerbe nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG auch bei Rechtsmissbrauch. Keine Schätzungsbefugnis bei umfangreicher Sachverhaltsermittlung. Keine Unterstellung von Inlandsumsätzen wegen der Mitwirkung an Plan zur Umsatzsteuerhinterziehung
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Vorsteuerabzug für den innergemeinschaftlichen Erwerb nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG kann nicht wegen Rechtsmissbrauch (hier: Einbeziehung des Unternehmens in einen Gesamtplan zur Mehrwertsteuerhinterziehung) versagt werden.
2. Hat das FA unter Ausnutzung strafprozessualer Befugnisse ermittelt, umfangreich Beweise in Form von Rechnungs- und Transportbelegen des Unternehmens und anderer Unternehmen sowie von Zeugenaussagen erhoben und in seinen abschließenden Ermittlungsberichten festgestellt, dass das Unternehmen im Inland keine Umsätze mit Mobilfunktelefonen getätigt hat, besteht keine Befugnis zur Schätzung der umsatzsteuerlichen Besteuerungsgrundlagen.
3. Das FA kann Inlandsumsätze für Mobilfunktelefone nicht deshalb unterstellen, weil das Unternehmen bei der Feststellung des Sachverhalts Mitwirkungspflichten verletzt hat und als Beweisverderber aufgetreten ist (hier: Verschleierung der Lieferwege von Mobilfunktelefonen durch Ausstellung unrichtiger Transportbelege).
Normenkette
UStG 1999 § 15 Abs. 1 Nrn. 3, 1, § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 1 Abs. 1 Nr. 5, §§ 6a, 1 Abs. 1 Nr. 1; AO § 162
Nachgehend
Tenor
1. Der Haftungsbescheid vom 13.10.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.11.2006 wird dergestalt geändert, dass sich die Haftungssumme auf 47.302 Euro zuzüglich darauf entfallender haftungsgegenständlicher Zinsen für Umsatzsteuer 2003 und 75.976 Euro für Umsatzsteuer 2004 reduziert.
2. Dem Beklagten werden die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, in welchem Umfang Umsatzsteuerschulden der e.t. GmbH vorliegen, für die der Kläger als Geschäftsführer haftet.
Die e.t. GmbH wurde in notarieller Urkunde v. 24.8.2000 (UR-Nr. A) der Notarin Gerlach, L.) durch den Kläger als Alleingesellschafter errichtet. Der Kläger war seinen Angaben vor der Notarin zufolge in I-Ausland wohnhaft. Die Gesellschaft nahm ihren Sitz in der H.-Str. in L., wo V. H. wohnte, die den Kläger zur notariellen Verhandlung am 24.8.2000 als Urkundszeugin begleitete. Im Fragebogen zur steuerlichen Erfassung gab V. H. als Unternehmensgegenstand der e.t. GmbH Export und Import mit erlaubnisfreien Waren sowie Groß- und Einzelhandel an.
Am 22.7.2002 erließ das Finanzamt L. gegen die e.t. GmbH einen Umsatzsteuerbescheid 2000 auf Schätzungsgrundlage. Es wurden -0,51 Euro festgesetzt. Wegen ausgezahlter 388,48 Euro erging eine Zahlungsaufforderung in Höhe von 387,97 Euro. Darauf reichte die e.t. GmbH am 9.8.2002 eine Umsatzsteuererklärung ein. Sie erklärte steuerpflichtige innergemeinschaftliche Erwerbe in Höhe von 10.928.737 DM mit einer Umsatzsteuer in Höhe von 1.748.598 DM, setzte diesen Betrag und einen weiteren Betrag in Höhe von 1.195,29 DM als Vorsteuer an, und erklärte im Übrigen steuerfreie Umsätze aus innergemeinschaftlichen Lieferungen in Höhe 11.016.888 DM. Ein dieser Erklärung entsprechender Umsatzsteuerbescheid wurde am 17.9.2002 erlassen.
Am 8.10.2003 erging ein Umsatzsteuerbescheid 2001 mit einer Festsetzung von -3.358 DM auf folgender Grundlage: innergemeinschaftliche Erwerbe in Höhe von 79.264.047 DM bei Umsatzsteuern in Höhe von 12.682.247,52 DM, steuerpflichtige Lieferungen etc. in Höhe von 6.695 DM bei Umsatzsteuern in Höhe von 1.071,20 DM, steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen in Höhe von 57.158.358 DM und Vorsteuern in Höhe von 12.682.248,36 DM sowie 4.427,61 DM. Die Zahlen wurden den quartalsweise abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen der e.t. GmbH entnommen.
Die Umsatzsteuer 2002 wurde am 18.8.2004 mit -2.811,72 Euro auf folgender Grundlage festgesetzt: innergemeinschaftliche Erwerbe in Höhe von 64.456.685 Euro bei Umsatzsteuern in Höhe von 10.313.069,60 Euro, steuerpflichtige Lieferungen etc. in Höhe von 11.710 Euro bei Umsatzsteuern in Höhe von 1.873,60 Euro, steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen in Höhe von 65.058.993 Euro und Vorsteuern in Höhe von 10.314.943,20 Euro sowie 4.685 Euro. Die Zahlen wurden wiederum den quartalsweise abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen der e.t. GmbH entnommen.
Seit dem 17.12.2002 fand bei der e.t. GmbH eine Steuerfahndungsprüfung statt. Hierzu erging ein Zwischenbericht v. 14.6.2005 und ein Abschlussbericht v. 9.11.2006. Der letztgenannte Bericht stellt zum Sachverhalt fest: „Nach den bisherigen Feststellungen der Steuerfahndung ist davon auszugehen, dass die in den Rechnungen de...