Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitpunkt der Zustellung der Einspruchsentscheidung mit Auslandseinschreiben gegen Rückschein. Übergabe an einen Ersatzempfänger
Leitsatz (redaktionell)
1. Lässt sich nicht feststellen, dass die Übergabe der per Einschreiben mit Rückschein im Ausland (hier Polen) zugestellten Einspruchsentscheidung durch den ausländischen Postdienstleister an die Schwester des Einspruchsführers als Ersatzempfänger formgerecht und damit wirksam war, gilt die Entscheidung in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem sie dem Einspruchsführer tatsächlich zugegangen ist.
2. Tatsächlich zugegangen im Sinne von § 8 VwZG ist das Dokument nicht bereits dann, wenn es nach allgemeinen Grundsätzen derart in den Herrschaftsbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser (jederzeit) darauf zugreifen kann; maßgeblich ist vielmehr, wann er das Schriftstück tatsächlich in die Hand genommen hat beziehungsweise es ihm tatsächlich ausgehändigt worden ist.
Normenkette
AO § 122 Abs. 1 S. 1, Abs. 5, § 355 Abs. 1; VwZG §§ 4, 8; ZPO § 189
Tenor
1. Die Einspruchsentscheidung vom 17. August 2021 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Streitig ist die Rechtzeitigkeit eines Einspruchs.
Der Kläger erhielt Kindergeld unter anderem für seinen Sohn A. Mit Bescheid vom 2. März 2021 hob die Beklagte die Festsetzung für dieses Kind mit Wirkung für den Zeitraum von Juli 2018 bis Juni 2020 auf. Sie adressierte diesen Bescheid an die polnische Adresse des Klägers und ordnete die Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein an. Der Rückschein weist als Tag der Zustellung den 16. März 2021 aus. Der Kläger befand sich zum Zeitpunkt der Zustellung nicht in Polen, sondern ging in Deutschland ganztägig seiner Tätigkeit als Mitarbeiter der B GmbH nach. Daher nahm seine Schwester die Sendung entgegen, die sich zu diesem Zeitpunkt in der Wohnung des Klägers aufhielt. Der Kläger kehrte am 28. März 2021 nach Hause zurück, wo ihm seine Schwester die Sendung der Beklagten aushändigte. Mit Schreiben vom 16. und 17. April 2021 legte der Kläger Einspruch gegen den Aufhebungsbescheid ein, der nach Angabe der Beklagten am 20. April 2021 bei dieser einging. Die Beklagte verwarf den Einspruch als unzulässig.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger die isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung. Er habe den Rückschein nicht unterschrieben und von dem Inhalt des Bescheides erst am 28. März 2021 Kenntnis erlangt. Die Einspruchsfrist habe daher erst am 29. März 2021 zu laufen begonnen und am 28. April 2021 geendet. Der Einspruch des Klägers sei damit fristgemäß gewesen.
Der Kläger beantragt,
die Einspruchsentscheidung vom 17. August 2021 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Einspruch sei verfristet gewesen. Die Beklagte habe eine Zustellung der Sendung gemäß § 122 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO) gewählt. Die Zustellung sei am 16. März 2021 bewirkt worden. Daher sei die Einspruchsfrist am 16. April 2021 abgelaufen. Der Einspruch des Klägers sei jedoch erst am 20. April 2021 und damit zu spät bei der Beklagten eingegangen.
Das Gericht hat darauf hingewiesen, dass es für die Wirksamkeit der Zustellung an die Schwester des Klägers als Ersatzempfängerin nach der Gesetzesbegründung zu § 4 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) darauf ankomme, ob die allgemeinen Geschäftsbedingungen des Postdienstleisters dies versähen. Hierzu sei jedoch nichts vorgetragen.
Die Beklagte hat dazu die Auffassung vertreten, es sei zulässig, ein Einschreiben an einen besonders Bevollmächtigten zu übergeben. Bei der Schwester des Klägers könne von einer konkludent erteilten oder einer Anscheinsvollmacht ausgegangen werden. Hierzu hat die Beklagte auf Kommentarstellen verwiesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die eingereichten Schriftsätze sowie die zum Streitfall übermittelte elektronische Kindergeldakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg.
Die Beklagte hat den Einspruch des Klägers zu Unrecht als unzulässig verworfen.
Nach § 355 Abs. 1 AO ist der Einspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes einzulegen. Die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes hat gemäß § 122 Abs. 1 Satz 1 AO gegenüber demjenigen zu erfolgen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen ist. Nach § 122 Abs. 5 Satz 1 AO kann die Behörde auch die Zustellung anordnen. In diesem Fall richtet sich die Zustellung nach den Vorschriften den VwZG (vgl. § 122 Abs. 5 Satz 2 AO).
Eine solche Anordnung hat die Beklagte im Streitfall getroffen, indem sie die Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein gewählt hat.
Einschlägig ist insofern § 4 VwZG, der jedoch zu den Einze...