Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenausweis oder Feststellungsbescheid über den Grad der Behinderung keine die Festsetzungsverjährung hemmenden Grundlagenbescheide für Kindergeldfestsetzung
Leitsatz (redaktionell)
Weder der Schwerbehindertenausweis noch die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft nach § 2 Abs. 2 SBB IX sind als bindender, den Ablauf der Festsetzungsverjährung hinausschiebender Grundlagenbescheid i. S. d. § 171 Abs. 10 AO für die Kindergeldfestsetzung nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG anzusehen.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3; AO § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; SGB IX § 2 Abs. 2
Nachgehend
BFH (Urteil vom 20.04.2016; Aktenzeichen XI R 3/13) |
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Von den Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin 40% und die Beklagte 60%.
3. Das Urteil ist für die Klägerin hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Streitig ist noch, ob die Klägerin für August 2003 bis Dezember 2004 Anspruch auf Kindergeld hat oder ob dieser festsetzungsverjährt ist.
Die Klägerin ist die Mutter der am 27. September 1978 geborenen M Z. Nach ihrem Abitur absolvierte die Tochter von August 2000 bis Juli 2003 eine Lehre als Rechtsanwaltsfachangestellte. Bis Juli 2003 bewilligte und zahlte die Beklagte der Klägerin für ihre Tochter Kindergeld aus. Anschließend war die Tochter bis zum Mai 2004 arbeitslos. Nachfolgend versuchte sie, sich selbstständig zu machen, erzielte daraus jedoch lt. Einkommensteuerbescheid 2004 keine Einkünfte. Danach war sie entweder arbeitslos, nichtselbständig tätig oder befand sich in einer Fördermaßnahme. Mit Bescheid vom 25. Mai 2009, geändert am 17. Juli 2009, stellte das Landratsamt M einen Grad der Behinderung der Tochter von 80 v.H. ab dem 1. Januar 1985 aufgrund eines Asperger-Syndroms fest, weswegen ihr ein entsprechender Schwerbehindertenausweis ausgestellt wurde. Das Merkmal H (hilflos) wurde nicht festgestellt.
Am 25. Juni 2009 beantragte die Klägerin ihr Kindergeld zu bewilligen. Mit Schreiben vom 19. Juli 2009 stellte sie klar, dass sie ab August 2003 Kindergeld begehrt. Mit Bescheiden vom 11. September 2009 und 14. Oktober 2011 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Kindergeld von Januar 2005 bis Dezember 2009 ab. Mit Schreiben vom 25. September 2009 beanstandete die Klägerin, dass sie für 2003 und 2004 keinen Bescheid erhalten habe. Mit Einspruchsentscheidungen vom 12. Oktober 2009 und 29. November 2011 wies die Beklagte die Einsprüche gegen die Bescheide vom 11. September 2009 und 14. Oktober 2011 zurück. Nach Klageerhebung änderte die Beklagte am 19. April 2012 und 18. Juni 2012 die vorangegangenen Bescheide und bewilligte der Klägerin von Januar 2005 bis Dezember 2009 Kindergeld. Die Beteiligten erklärten den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt.
Die Klägerin bringt vor, sie habe auch für August 2003 bis Dezember 2004 Anspruch auf Kindergeld. Dieser Anspruch sei auch nicht festsetzungsverjährt, da die Feststellung des Grades der Behinderung mit Bescheid vom 25. Mai 2009 ein Grundlagenbescheid sei, wie sich aus § 175 AO und der Dienstanweisung FamEStG ergebe.
Die Klägerin beantragt,
ihr Kindergeld für ihre Tochter M Z von August 2003 bis Dezember 2004 zu bewilligen und für das Kindergeld von Januar 2005 bis Dezember 2008 Prozesszinsen festzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bringt vor, der Anspruch auf Kindergeld von August 2003 bis Dezember 2004 sei festsetzungsverjährt. Die Prozesszinsen würden von ihr nach Abschluss des Verfahrens festgesetzt.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorbereitenden Schriftsätze, die zu Gericht gereichten Behördenakten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25. Juli 2012 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist hinsichtlich der Prozesszinsen unzulässig und im Übrigen unbegründet.
I.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesszinsen ist unzulässig, da für eine Bewilligung nach § 236 AO das Vorverfahren fehlt und die Voraussetzungen nach § 100 Abs. 4 FGO nicht vorliegen.
1. Wird durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder aufgrund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt oder eine Steuervergütung gewährt, so ist der zu erstattende oder zu vergütende Betrag grundsätzlich vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag zu verzinsen (§ 236 Abs.1 S. 1 AO). Dies gilt nach § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO entsprechend, wenn sich der Rechtsstreit durch Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts oder durch Erlass des beantragten Verwaltungsakts erledigt. Nach § 155 Abs. 4 AO sind die für die Steuerfestsetzung geltenden Vorschriften auf die Festsetzung einer Steuervergütung, worunter gemäß § 31 S. 3 EStG auch das Kindergeld fällt, sinngemäß anzuwenden, mithin auch