Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufrechnung im Insolvenzverfahren. Rücktritt des Insolvenzverwalters über das Vermögen des Käufers von einem noch nicht erfüllten Grundstückskaufvertrag. insolvenzrechtliches Entstehen des Anspruchs auf Erstattung von Grunderwerbsteuer erst mit der Vertragsaufhebung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die beiderseitigen Ansprüche aus einem beiderseits nicht vollständig erfüllten gegenseitigen Vertrag erlöschen nicht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer der Vertragsparteien.
2. Der Anspruch auf Erstattung von Vorauszahlungen, die vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens geleistet wurden, ist vor Verfahrenseröffnung begründet (mit der Folge, dass das FA gegen ihn aufrechnen kann), auch wenn die Steuer, auf die vorauszuleisten war, erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist.
3. Der Erstattungsanspruch auf Grunderwerbsteuer gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG entsteht insolvenzrechtlich nicht bereits mit Abschluss des notariell beurkundeten Kaufvertrags (mithin im Streitfall vor dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung) aufschiebend bedingt, wenn der Anspruch auf einem Ereignis (Rücktritt des Insolvenzverwalters vom Vertrag) beruht, das nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten ist. Vielmehr wird der Anspruch auf Erstattung der GrESt erst mit der Vertragsaufhebung insolvenzrechtlich begründet.
Normenkette
GrEStG § 16 Abs. 1 Nr. 2; InsO §§ 94, 95 Abs. 1 S. 1, § 96 Abs. 1 Nr. 1, § 103 Abs. 2; AO §§ 218, 226 Abs. 1; BGB § 387
Nachgehend
Tenor
1. Der Abrechnungsbescheid vom 13. April 2015 und die Einspruchsentscheidung vom 13. Oktober 2015 werden dahingehend geändert, dass ein erstattungsfähiges Guthaben i.H.v. 39.900 EUR ausgewiesen wird.
2. Dem Beklagten werden die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die insolvenzrechtliche Zulässigkeit von Aufrechnungen des FA gegen eine Forderung auf Erstattung von Grunderwerbsteuer.
Die Klägerin (Kl.) kaufte mit notariell beurkundetem Bauträgervertrag vom 28. Dez. 2005 (Bl. 2 Rb) Miteigentumsanteile am Grundbesitz …. (vier noch fertig zu stellende Doppelhaushälften) für 1.140.000 EUR. Nach § 13 Abs. 2 des Vertrags hatte sie die Grunderwerbsteuer (GrESt) zu tragen. Das FA setzte mit Bescheid vom 28. Febr. 2006 (Bl. 29 Rb) GrESt i.H.v. 39.900 EUR auf der Grundlage des vereinbarten Kaufpreises gegen die Kl. fest. Der Bescheid wurde bestandskräftig und die Steuer gezahlt. Am 1. März 2012 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Kl. eröffnet und die Eigenverwaltung angeordnet (Bl. 50 Rb). Mit Schreiben vom 1. März 2013 (Bl. 37 Rb) erklärte die Kl. gegenüber der Verkäuferin gem. § 103 Abs. 2 InsO die Nichterfüllung des notariellen Kaufvertrags vom 28. Dez. 2005 und bat mit Schreiben vom 2. April 2013 (Bl. 28 Rb) um Erstattung der GrESt.
Mit Bescheid vom 3. Febr. 2015 (Bl. 51 GA) hob das FA den Bescheid über Grunderwerbsteuer vom 28. Febr. 2006 wegen Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG auf. Das FA erklärte am 24. Febr. 2015 (Bl. 62 Rb) und am 13. April 2015 (Bl. 75 Rb) die Aufrechnung mit Steuerschulden der Kl. wegen Lohnsteuer für Dez. 2009, Jan. bis April 2010. Den hiergegen eingelegten Einspruch der Kl. wertete das FA als Antrag auf Erlass eines Abrechnungsbescheids und stellte mit Abrechnungsbescheid vom 13. April 2015 (Bl. 77 Rb) das Erlöschen des Guthabens fest. Der Einspruch der Kl. blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 13. Okt. 2015, Bl. 5 GA).
Die Kl. meint, die Aufrechnungen des FA seien nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig.
Die Klägerin beantragt,
den Abrechnungsbescheid vom 13. April 2015 und die Einspruchsentscheidung vom 13. Oktober 2015 dahingehend zu ändern, dass ein erstattungsfähiges Guthaben i.H.v. 39.900 EUR ausgewiesen wird.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es ist der Auffassung, die Aufrechnungen seien nach § 95 Abs. 1 S. 1 InsO zulässig, da der Anspruch auf Erstattung der GrESt vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufschiebend bedingt entstanden sei.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist begründet. Der Abrechnungsbescheid, der die vom FA erklärten Aufrechnungen als wirksam bestätigt hat, ist rechtswidrig. Die Aufrechnungen sind unzulässig, da das FA das von ihm verrechnete GrESt-Guthaben erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens schuldig geworden ist. Der Anspruch der Kl. auf Erstattung der GrESt ist daher nicht erloschen.
1. Die nach § 226 Abs. 1 AO erforderlichen allgemeinen Aufrechnungsvoraussetzungen (§§ 387 ff. BGB) lagen mit Blick auf die Forderung des FA wegen Lohnsteuer für Dez. 2009, Jan. bis April 2010 und die F...