rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldberechtigung bei getrennten Haushalten der Kindseltern in Polen und Behandlung eines Elternteils als unbeschränkt steuerpflichtig nach § 1 Abs. 3 EStG
Leitsatz (redaktionell)
1. Die fiktive unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG ersetzt in nationalrechtlicher Hinsicht das Kriterium des Wohnsitzes, an dem sich die grundsätzliche Ausrichtung der Kindergeldberechtigung nach dem Territorialitätsprinzip widerspiegelt.
2. Leben die geschiedenen Eltern des Kindes in Polen in verschiedenen Haushalten leben, führt auch die Fiktionswirkung des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) 987/2009 nicht zu einem gemeinsamen Haushalt der Eltern in Deutschland.
3. Die nicht erwerbstätige, mit dem Kind in Polen lebende Kindsmutter ist vorrangig kindergeldberechtigt gegenüber dem von ihr getrennt ebenfalls in Polen lebenden Kindsvater in Zeiträumen, in denen dieser in Deutschland antragsgemäß nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt – d.h. durch Jahressteuerbescheid veranlagt- worden ist.
4. Die steuerliche Behandlung des Kindsvaters durch das Finanzamt in früheren Veranlagungszeiträumen gibt keine Auskunft darüber, ob das Finanzamt in einem späteren Veranlagungszeitraum die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG wiederum bejaht.
Normenkette
EStG § 1 Abs. 3; EGVO 883/2004 Art. 67-68, 11 Abs. 3; EGVO 987/2009 Art. 60 Abs. 1 S. 2
Tenor
1. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin für den Zeitraum Juli 2016 bis Dezember 2017 Kindergeld für ihr Kind … in gesetzlicher Höhe zu bewilligen; der insoweit entgegenstehende Bescheid vom … und die Einspruchsentscheidung vom … werden in diesem Umfang aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens zu 2/5, die Beklagte zu 3/5.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über Kindergeld für das am … geborene Kind … betreffend den Zeitraum Juli 2016 bis Dezember 2018. Die polnische Klägerin ist die Kindsmutter und wohnt in Polen, wo sie das Kind in ihren Haushalt aufgenommen hat. Polnische Familienleistungen erhält sie nicht und hat sie auch nicht beantragt.
Der in Deutschland als Grenzpendler ab … nichtselbständig arbeitende Kindsvater Herr … ist polnischer Staatsangehöriger, wohnt ebenfalls in Polen, aber andernorts; die Eltern sind geschieden. Er zahlt keinen Unterhalt für das Kind.
Die Klägerin beantragte im Juni 2018, ihr Kindergeld für ihre Tochter … zu bewilligen. Der Antrag wurde mit Bescheid der Beklagten vom …. abgelehnt. Auf den Einspruch der Klägerin vom … erließ die Beklagte am … unter anderem für den hier streitigen Zeitraum eine ablehnende Einspruchsentscheidung, die … 2018 in Polen bekanntgegeben wurde. Zur Begründung führte sie aus, dass ein Anspruch auf Kindergeld bei einem Grenzpendler mangels Wohnsitzes oder dauernden Aufenthalts in Deutschland ausscheide. Auch seien hinsichtlich anderer Anspruchsgrundlagen keine Nachweise nach § 1 Abs. 2 und 3 Einkommensteuergesetz – EStG – vorgelegt worden.
Die Klägerin hat am … Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt.
Zur Begründung trägt sie vor, dass der Kindsvater in Deutschland nach § 1 Abs. 3 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sei und daher ein Anspruch der Klägerin auf Kindergeld bestehe. Dies sei durch die vorgelegten Einkommensteuerbescheide auch belegt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom … in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin für ihr Kind … Kindergeld für den Zeitraum vom 01.07.2016 bis 31.12.2018 in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt sie vor, die Klägerin habe im Streitzeitraum weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt, noch werde sie selbst als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt. Da sie mit dem Kind in Polen lebe, könne ein Anspruch auf deutsches Kindergeld nur durch den Kindsvater vermittelt werden. Aber auch dieser habe im Streitzeitraum weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Seine Behandlung als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig nach § 1 Abs. 3 EStG sei unbeachtlich, da keine Bindung der Beklagten an den vom Finanzamt gegebenenfalls bejahten Wohnsitz oder Aufenthalt bestehe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die in der Gerichtsakte befindlichen Schriftsätze nebst Anlagen und die übersandte Kindergeldakte Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung waren.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung ergeht gemäß § 79a Abs. 3 Finanzgerichtsordnung – FGO – durch den Vorsitzenden an Stelle des Senats und gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung, da die Beteiligten mit Schriftsätzen vom … (Blatt 13 d. Akte) und vom … (B...