Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur lohnsteuerrechtlich und einkommensteuerrechtlich verfassungswidrigen Schlechterstellung eingetragener Lebenspartner gegenüber Ehegatten
Leitsatz (amtlich)
1. Begehrt ein eingetragener Lebenspartner die Eintragung der Lohnsteuerklasse III auf seiner Lohnsteuerkarte unter Berufung auf eine lohnsteuerrechtlich und einkommensteuerrechtlich verfassungswidrige Schlechterstellung eingetragener Lebenspartner gegenüber Ehegatten, so ist nach erfolgter Ablehnung der begehrten Eintragung durch das Finanzamt und Einspruchseinlegung bzw. Klagerhebung einstweiliger gerichtlicher Rechtsschutz nach § 69 Abs. 3 FGO durch Aussetzung der Vollziehung zu gewähren.
2. Im Hinblick auf die Entscheidungen des BVerfG vom 21. Juli 2010 (1 BvR 611/07 u. a., BGBl I 2010, 1295), des EuGH vom 10. Mai 2011 (C-147/08, NJW 2011, 2187) sowie diverse finanzgerichtliche Entscheidungen in einstweiligen Rechtsschutzverfahren bestehen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 GG ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses eingetragener Lebenspartner von den Regelungen des so genannten Ehegatten-Splittings und damit auch von den Ehegatten begünstigenden Lohnsteuerklassen.
3. Insbesondere vor dem Hintergrund der Anzahl eingetragener Lebenspartnerschaften in Deutschland und der sich daraus ergebenden fehlenden Breitenwirkung bei der Gewährung einer Aussetzung der Vollziehung in dieser Konstellation überwiegt in der Regel das Aussetzungsinteresse der eingetragenen Lebenspartner an der vorläufigen Eintragung der günstigen Lohnsteuerklasse auf ihrer Lohnsteuerkarte das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung.
4. Die Beschwerde wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
(siehe auch Parallelentscheidung mit im wesentlichen gleichen Sachverhalt:
Schleswig-Holsteinisches FG, Beschluss vom 20. Dezember 2011, 5 V 213/11)
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; EStG § 38b S. 2 Nr. 3a, § 39 Abs. 5; FGO § 69 Abs. 3, § 114
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege der Aussetzung der Vollziehung eine vorläufige Änderung der Lohnsteuerklasse auf der Lohnsteuerkarte für das Jahr 2011.
Die Antragstellerin begründete am 12. April 2007 eine eingetragene Lebenspartnerschaft. Sie erzielte im Jahre 2011 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Ihre Lebenspartnerin, die im Streitjahr Studentin war, erzielte freiberufliche Einkünfte. Die beiden Lebenspartner leben nicht dauernd getrennt und sind beide unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.
Mit Antrag vom 05. Mai 2011 beantragte die Antragstellerin bei dem Antragsgegner, auf der fortgeltenden Lohnsteuerkarte 2010 für das Jahr 2011 die Lohnsteuerklasse III für sie einzutragen. Den Antrag begründete sie damit, dass sie zu Anfang des Jahres 2011 bereits in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft gelebt habe, so dass nicht die Steuerklasse I für Ledige für sie hätte eingetragen werden dürfen. Zwar sei sie auch nicht verheiratet. Die Lücke in den gesetzlichen Regelungen hätte jedoch dahingehend geschlossen werden müssen, dass die Lohnsteuerklasse III ebenso für die eingetragene Lebenspartnerschaft gelte. Dies ergebe sich insbesondere aus der Entscheidung des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2010 zur Erbschaftsteuer (1 BvR 611/07 u.a., NJW 2010, 2783). Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung seien die bisherigen Urteile des BFH vom 26. Januar 2006 (III R 51/05, Bundessteuerblatt -BStBl- II 2006, 515), vom 20. Juli 2006 (III R 8/04, BStBl II 2006, 883) und vom 19. Oktober 2006 (III R 29/06, BFH/NV 2007, 663), die in der fehlenden Möglichkeit einer Zusammenveranlagung eingetragener Lebenspartner keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung gegenüber Ehegatten gesehen hätten, als überholt anzusehen. Vor diesem Hintergrund ergebe sich ein Anspruch darauf, dass die Lohnsteuerkarte wie beantragt geändert würde. Dies müsse umso mehr gelten, als in ihrem Fall der Antragsgegner auch die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 2009 auf entsprechenden Antrag hin aufgehoben habe.
Mit Bescheid vom 12. Mai 2011 lehnte der Antragsgegner die beantragte Änderung der Lohnsteuerklasse ab.
Hiergegen legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 23. Mai 2011 Einspruch ein. Zur Begründung bezog sie sich auf ihren bisherigen Vortrag.
Die Antragstellerin beantragte sodann mit Schreiben vom 01. November 2011 die Aussetzung der Vollziehung des ablehnenden Bescheides über die Änderung ihrer Steuerklasse, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung ihres Antrags auf Änderung der Lohnsteuerklasse bestünden. Zum einen spreche auch nach Auffassung des Bundesfinanzhofs (vgl. Beschluss vom 08. Juni 2011 III B 210/10, BFH/NV 2011, 1692) vieles dafür, dass in der vorliegenden Konstellation vorläufiger Rechtsschutz nach § 69 Abs. 3 FGO zu gewähren sei, so dass zur Aussetzung der Vollziehung ernstliche Zweifel ausreichten. Zum anderen lägen auch ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung vor. Diese ergäben sich insbesondere durch die inzwischen vorliegende f...