Revision eingelegt (BFH III R 43/19)

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld für ein vor Beginn der Ausbildung erkranktes Kind

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ist ein Kind ausbildungswillig, aber zeitweise wegen einer Erkrankung nicht in der Lage, sich um einen Ausbildungsplatz zu bemühen, ist es ebenso zu behandeln wie ein Kind, das sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht, einen solchen aber nicht findet und deshalb nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG zu berücksichtigen ist.

2. Es ist nicht schädlich, dass das voraussichtliche Ende der Erkrankung zunächst vom Arzt nicht festgestellt wurde. Eine solche Erklärung ist gerade bei psychischen Erkrankungen oft nicht möglich. Dies kann nicht zu Lasten des Kindergeldberechtigten gehen.

 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 31.08.2021; Aktenzeichen III R 43/19)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Kindergeldanspruch für ein langfristig erkranktes Kind.

Die Klägerin ist die Mutter der am xx.xx.1993 geborenen D. D trat zum 1.08.2012 eine Ausbildung an. Ab Juni 2015 war sie über einen Zeitraum von etwa drei Jahren ausbildungsunfähig erkrankt. In der im gerichtlichen Verfahren vorgelegten ärztlichen Bescheinigung ist mitgeteilt, dass ein Ende der seit dem Juni 2015 bestehenden Erkrankung nicht absehbar ist. Der Ausbildungsbetrieb verlängerte den Ausbildungsvertrag mit D zunächst zweimal um jeweils ein halbes Jahr bis zum 31.07.2016. Mit Schreiben vom 17.05.2016 lehnte er eine weitere Verlängerung des Ausbildungsverhältnisses unter Hinweis auf § 21 des Berufsbildungsgesetzes ab.

Seit August 2015 befindet sich D in regelmäßiger ambulanter tiefenpsychologischer Psychotherapie. Ihr Therapeut bescheinigte mit Schreiben vom 14.02.2018 mehrere Diagnosen. Im Zuge einer Zwischenbegutachtung teilte der zuständige Amtsarzt des Kreises F mit Schreiben vom 4.08.2016 folgendes mit: D "konnte auf Grund einer Erkrankung im Zeitraum 6/2016 bis 6/2017 ihre Ausbildung und Schule nicht absolvieren. Hiernach ist wieder mit Ausbildungsfähigkeit/ Arbeitsfähigkeit zu rechnen. Aus ärztlicher Sicht la-gen/liegen weiterhin die Voraussetzungen für den Kindergeldbezug vor".

Im Hinblick auf die vorgenannte Bescheinigung des Amtsarztes setzte die Beklagte Kindergeld für D durch Bescheid vom 23.08.2016 antragsgemäß fest. Mit Schreiben vom 24.10.2017 teilte D der Beklagten mit, dass ihre Psychotherapie erneut um weitere 50 Stunden verlängert worden sei. Sie sei auf der Suche nach einem Arbeitsplatz, wolle sich demnächst auf einen Schulplatz bewerben, um das Abitur nachzuholen und anschließend zu studieren.

Mit Bescheid vom 6.12.2017 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung ab dem Monat Juli 2017 auf. Die Aufhebung erfolgte im Hinblick auf das in der amtsärztlichen Bescheinigung erwähnte voraussichtliche Ende der Erkrankung. Mit weiterem Bescheid vom 6.12.2017 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Kindergeld für D ab dem Monat Juli 2017 ab. Den hiergegen erhobenen Einspruch vom 14.12.2017 wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 5.02.2018 zurück: Die frühere Berufsausbildung sei zum 31.06.2016 beendet worden. Ernsthafte Bemühungen um einen neuen Ausbildungsplatz seien für den Zeitraum ab Juli 2017 nicht nachgewiesen.

Mit der am 5.03.2018 erhobenen Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, D habe die von ihr angestrebte weitere Ausbildung im Hinblick auf die im Streitzeitraum noch andauernde psychische Erkrankung nicht beginnen können. Die krankheitsbedingte Unfähigkeit zu Fortsetzung der Berufsausbildung könne ihr nicht zur Last gelegt werden. Mit Schriftsatz vom 27.08.2018 hat die Klägerseite mitgeteilt, dass D seit dem 25.06.2018 bei der H GmbH sozialversicherungspflichtig beschäftigt sei.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 6.12.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5.02.2018 zu verpflichten, der Klägerin für ihr Kind D von Juli 2017 bis einschließlich Juli 2018 Kindergeld zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch für ein behindertes Kind im Sinne des § 32 Abs. 4 Nr. 3 Satz 1 EStG seien nicht nachgewiesen. Eine Berücksichtigung als Kind ohne Ausbildungsplatz im Sinne des § 32 Abs. 4 Nr. 2 c) EStG komme ebenfalls nicht in Betracht. Nach dem Inhalt der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung vom 3.04.2018 sei ein Ende der Erkrankung des Kindes im Streitzeitraum nicht absehbar gewesen. Darüber hinaus habe im Streitzeitraum auch keine Anbindung des Kindes zu einer Ausbildungsstätte mehr bestanden. Unter diesen Umständen könne D nach den Vorgaben der Dienstanweisung Kindergeld nicht als ausbildungssuchendes Kind berücksichtigt werden. Unabhängig davon endet der Streitzeitraum des Klageverfahrens mit dem Monat des Erlasses der Einspruchsentscheidung (hier: Februar 2018), da für den Folgezeitraum keine ablehnende Regelung getroffen worden sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist im tenorierten Umfang begrün...

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