Leitsatz
1. Der verbrauchsteuerrechtliche Begriff des Entziehens eines Erzeugnisses aus dem Verfahren der Steueraussetzung i.S.v. § 143 Abs. 1 Satz 1 BranntwMonG ist ein eigenständiger. Er ist nicht mit dem zollrechtlichen Begriff des Entziehens einer Ware aus der zollamtlichen Überwachung i.S.v. Art. 203 Abs. 1 ZK identisch.
2. Ein Erzeugnis wird dem Steueraussetzungsverfahren durch jede Unregelmäßigkeit entzogen, die der steuerlichen Regelung der Beförderung von verbrauchsteuerpflichtigen Waren unter Steueraussetzung zuwiderläuft und zur Folge hat, dass die Ware als in den steuerrechtlich freien Verkehr entnommen anzusehen ist. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn bei der Ausgangszollstelle eine andere als die in das Verfahren der Steueraussetzung übergeführte Ware, die keiner verbrauchsteuerrechtlichen Bindung unterliegt, angemeldet wird und dabei entsprechend gefälschte Versandpapiere vorgelegt werden.
3. Die "Gilt-Fälle" der Entziehung aus dem Steueraussetzungsverfahren (§ 143 Abs. 1 Satz 3 BranntwMonG) schränken den Anwendungsbereich der "echten" Entziehungsfälle (§ 143 Abs. 1 Satz 1 BranntwMonG) nicht ein.
Normenkette
Art. 4 Buchst. c RL 92/12 , Art. 6 RL 92/12 , Art. 19 Abs. 4 Satz 2 RL 92/12 , Art. 203 Abs. 1 ZK , § 130 Abs. 1 BranntwMonG , § 143 Abs. 1 BranntwMonG , § 39 Abs. 2 BrStG , § 43 Abs. 2 BrStV
Sachverhalt
In Italien in das innergemeinschaftliche Steuerversandverfahren unter Steueraussetzung übergeführter Alkohol sollte über die Bundesrepublik in die Tschechische Republik eingeschmuggelt werden. Bei der Ausfuhrabfertigung in Deutschland wurden zu diesem Zweck beim Zollamt Paneele angemeldet und entsprechende gefälschte Versandpapiere vorgelegt; diese waren kurz vor der Grenze gegen die italienischen Versandpapiere ausgetauscht worden.
Der Alkohol wurde dem Plan entsprechend ausgeführt. Gleichwohl erhob das HZA Branntweinsteuer. Es war der Meinung, der Alkohol sei durch den Austausch der Versandpapiere und die anschließende Abgabe einer unzutreffenden Ausfuhranmeldung dem Steueraussetzungsverfahren entzogen worden. Dem folgte das FG nicht; es hob den Steuerbescheid auf.
Entscheidung
Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Alkohol sei dem Steuerversandverfahren entzogen worden, weil dieses nicht durch eine Abfertigung des Alkohols zur Ausfuhr aus der Bundesrepublik beendet worden sei. Die Ausfuhr des Alkohols steht nicht der Annahme entgegen, dass die Steuer nach § 143 Abs. 1 Satz 1 BranntwMonG (Entzug der Ware aus dem Steuerversandverfahren) entstanden ist. § 143 Abs. 1 Satz 3 BranntwMonG, wonach bestimmte – hier nicht vorliegende – Fälle als Entziehen gelten, schränke den Begriff des Entziehens und damit den Anwendungsbereich des § 143 Abs. 1 Satz 1 BranntwMonG nicht ein.
Hinweis
1. Das BranntwMonG regelt ein Verfahren, in dem Branntwein, der nicht versteuert ist (sog. Steueraussetzung), unter behördlicher Aufsicht transportiert werden kann (sog. Steuerversandverfahren). Dieses Verfahren dient im Wesentlichen den gleichen Zwecken wie das gemeinschaftliche Versandverfahren, nämlich die Ware nicht vorzeitig mit Abgaben zu belasten (welche der Händler vorfinanzieren müsste), zugleich aber sicherzustellen, dass sie nicht schlussendlich unversteuert in den freien Verkehr geraten. Dass der BFH trotz der wesentlichen Übereinstimmung von Zweck und Gestaltung der beiden Verfahren die "Eigenständigkeit" des Steuerversandverfahrens stark betont, verwundert und wird von ihm nicht substanziell begründet.
2. Branntweinsteuer entsteht (§ 143 Abs. 1 BranntwMonG), wenn Erzeugnisse während der Beförderung nach den §§ 140 bis 142 BranntwMonG im Steuergebiet dem Steueraussetzungsverfahren entzogen werden, es sei denn, dass sie nachweislich untergegangen oder an Personen im Steuergebiet abgegeben worden sind, die zum Bezug von Erzeugnissen unter Steueraussetzung berechtigt sind.
Werden Waren wie im Besprechungsfall im Geltungsbereich des BranntwMonG dem Verfahren entzogen und anschließend in ein drittes Land eingeschmuggelt, entsteht die Steuer unter Umständen für dieselbe Ware zweimal! Ähnliche missliche Folgen können sich für die Bestrafung der Täter ergeben.
3. Der BFH hat gleichwohl dem Paragrafen des Gesetzes vor einer "wirtschaftlichen Betrachtung" dahin, dem deutschen Fiskus entstehe kein Schaden bei einer Vorlage gefälschter Versandpapiere erst an der deutschen (Ausfuhr-) Grenze und nur zu dem Zweck, das Einschmuggeln in ein drittes Land zu erleichtern, mit Recht den Vorzug gegeben.
4. Ob allein die (möglicherweise nur vorübergehende) Entfernung der Versandpapiere von der Versandware zur Steuer/Zollschuldentstehung führen würde, konnte im Besprechungsfall offen bleiben.
Beachten Sie jedoch in diesem Zusammenhang den (gegenüber Unregelmäßigkeiten im Versandverfahren in der Tendenz großzügigen) Beschluss VII R 99/00 in BFH-PR 2001, 401, der eine Lockerung der strengen Förmlichkeiten im Versandverfahren mit Hilfe des neuerdings vielfach (mitunter ganz zu Unrecht) bemühten Gedankens bew...