Leitsatz
Auch Schulgeld für den Besuch eines englischen Internats kann unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG abziehbar sein.
Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem nationalen Recht hat insbesondere zur Folge, dass gemeinschaftsrechtswidrige Vorschriften des nationalen Steuerrechts nicht anzuwenden sind, ohne dass es einer Vorlage an das BVerfG oder den EuGH bedarf (Anwendungsvorrang).
Normenkette
§ 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG
Sachverhalt
Der Sohn der Kläger besuchte im Streitjahr die staatliche C-School, England, mit angegliedertem Internat. Die Kläger machten 18 726 DM Schulgeld für den Besuch der C-School als Sonderausgaben geltend.
Das FA lehnte den Abzug ab. Das FG wies die dagegen gerichtete Klage ab (FG Köln, Urteil vom 28.06.2001, 7 K 8690/99, Haufe-Index 1161409, EFG 2004, 1044).
Entscheidung
Die Revision der Kläger war begründet und führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Die vom FG getroffenen Feststellungen reichten nicht aus, um abschließend beurteilen zu können, ob und in welcher Höhe die Schulgeldzahlungen als Sonderausgaben abgezogen werden können, da das FG nicht näher geprüft hatte, ob und in welchem Umfang in diesem Betrag Kosten für Verpflegung und Unterbringung enthalten waren und ob ggf. gegen das Sonderungsverbot verstoßen wurde.
Hinweis
1. Seit dem Urteil des EuGH vom 11.09.2007 in der Sache C-76/05 – Schwarz und Gootjes-Schwarz – (Slg. 2007, I-6849) ist geklärt, dass es nicht mit Art. 18 und Art. 49 EG-Vertrag zu vereinbaren ist, dass Schulgeldzahlungen zwar für bestimmte Privatschulen im Inland, nicht aber für Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten als Sonderausgaben abgezogen werden können.
2. In jüngster Zeit gab es einige Irritationen, wie eine solche EuGH-Entscheidung umzusetzen sei (vgl. dazu Gosch, DStR 2007, 1895, 1897). Dazu stellt der BFH in diesem Urteil klar:
- Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht hat zur Folge, dass gemeinschaftsrechtswidrige Vorschriften des nationalen Steuerrechts nicht anzuwenden sind, ohne dass es einer Vorlage an das BVerfG oder den EuGH bedarf (Anwendungsvorrang).
- Das Gemeinschaftsrecht ist nur dann nicht verbindlich, wenn europäische Einrichtungen oder Organe den Unions-Vertrag in einer Weise handhaben und fortbilden, die von dem Vertrag nicht mehr gedeckt wäre (sog. "ausbrechende Rechtsakte").
- Zur Nichtanwendung des dem Gemeinschaftsrecht widersprechenden nationalen Rechts sind alle mit der Rechtssache befassten Instanzen verpflichtet.
3. Diese Grundsätze führen dazu, dass § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG normerhaltend europarechtskonform ausgelegt werden muss. Dies hat zur Konsequenz, dass ein "europarechtswidriges Tatbestandsmerkmal" nicht zu beachten ist, dass also dann, wenn die Schule im EU-Ausland zu einem im Inland ohne Abstriche anerkannten Schulabschluss führt, der Abzug des für den Besuch dieser Schule gezahlten Schulgelds – also ohne Beträge für Beherbergung, Betreuung und Verpflegung – dem Grund nach in Betracht zu ziehen ist.
4. Aus dieser normerhaltenden Interpretation des § 1 Abs. 1 Nr. 9 EStG folgt aber auf der anderen Seite auch, dass die ausländische Privatschule die Voraussetzungen, die auch von einer deutschen Privatschule verlangt werden, entsprechend erfüllen muss.
5. Der Abzug von Schulgeldzahlungen setzt voraus, dass durch die Höhe der gezahlten Beträge keine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern gefördert wird. Denn das BVerfG hat Art. 7 Abs. 4 S. 3 GG als verletzt angesehen, wenn die Schule nicht mehr allgemein zugänglich ist. Im Grundsatz müssen alle Schüler ohne Rücksicht auf ihre wirtschaftliche Lage die Privatschule besuchen können (BVerfG, Urteil vom 08.04.1987, 1 BvL 8, 16/84, BVerfGE 75, 40, 63f.). Zwar ist das Sonderungsverbot kein Tatbestandsmerkmal des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG; bei dem Besuch einer Schule im EU-Ausland ist aber fiktiv zu prüfen, ob sie nach deutschem Recht anerkannt worden wäre, wobei in diesem Zusammenhang das Sonderungsverbot zu berücksichtigen ist.
6. Ob durch ein zu hohes Schulgeld gegen dieses Sonderungsverbot verstoßen wird, ist u.a. auch danach zu beurteilen, wie viele Stipendien oder ähnliche Zuwendungen durch die Schule gewährt werden.
7. Eine Absage erteilt der BFH der im Schrifttum vertretenen Auffassung (vgl. Meilicke, IStR 2006, 447, Müller, EFG 2008, 607), dass auf eine Prüfung des Sonderungsverbots deswegen zu verzichten ist, weil es – möglicherweise – in der Praxis bei deutschen Privatschulen weniger beachtet worden sein soll.
8. Demnächst ist die Neuregelung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG durch das Jahressteuergesetz 2009 zu beachten. Von Bedeutung ist dabei die Übergangsregelung im geplanten § 52 Abs. 24b S. 2 EStG. Danach gilt § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG in der bisherigen Fassung für noch nicht bestandskräftige Steuerfestsetzungen der Veranlagungszeiträume vor 2008 mit der Maßgabe, dass es sich nicht um eine nach Art. 7 Abs. 4 GG staatlich genehmigte oder nach Landesrecht erlaubte Ersatzschule o...