Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
5.1.3.1 Allgemeines
Rz. 456
Die Besteuerung des Eigenverbrauchs und ihre Regelungen zu den einzelnen Tatbeständen und Bemessungsgrundlagen gehen weit in die Zeit vor Einführung des Mehrwertsteuersystems zurück. Mit der Einführung dieses Systems wurde der Eigenverbrauch vornehmlich als Korrektur des vorhergegangenen Vorsteuerabzugs begriffen. Entsprechende Fallgruppen wie die Arbeitnehmersachzuwendungen und die unentgeltlichen Leistungen von Gesellschaften an ihre Gesellschafter und dgl. wurden dem Eigenverbrauch gleichgestellt. Mit dem Ergehen der 6. EG-Richtlinie und ihrer – verspäteten – Umsetzung in das deutsche Umsatzsteuerrecht ergaben sich neue Probleme. Die Richtlinie kannte und kennt weder einen Tatbestand des Entnahme-Eigenverbrauchs noch einen Eigenverbrauchstatbestand in der Form von Dienstleistungen. Ihre Besteuerung und ihre Bemessung warfen immer wieder neue Probleme auf und ließen den Ruf nach einer Neuregelung ständig lauter werden. Der EuGH erhob ebenfalls immer wieder solche Forderungen.
Rz. 457
Durch das StEntlGesetz 1999/2000/2002 ist das System der Eigenverbrauchsbesteuerung einschließlich der Bestimmungen über die Bemessungsgrundlagen durch eine Regelung abgelöst worden, die sich sehr eng an diejenige der 6. EG-Richtlinie lehnt und deren Formulierungen z. T. wörtlich übernimmt. Diese Regelung gilt seit dem 1.4.1999. Zur neuen Regelung im Einzelnen vgl. Rz. 468 – Rz. 482. Für die Behandlung der vor dem 1.4.1999 getätigten Entnahmen, unentgeltlichen Dienstleistungen, Arbeitnehmersachzuwendungen usw. müssen allerdings noch längere Zeit die vor der Neuregelung vorhanden gewesenen Probleme gelöst werden. Hierzu bedarf es noch der Darstellung der wichtigsten Gedanken, die aus den früheren (bis 31.12.2006) Art. 5 Abs. 5, Art. 6 Abs. 2 und Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. b u. c der 6. EG-Richtlinie abzuleiten sind.
Rz. 458 – 462 einstweilen frei
5.1.3.2 Rechtsentwicklung im Einzelnen
Rz. 463
Der EuGH hatte auf Vorlage des FG München entschieden, dass Art. 6 Abs. 2 S. 1 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie ausschließt, die Abschreibungen eines Betriebsgegenstands als Verwendungseigenverbrauch zu besteuern, wenn der Gegenstand wegen Erwerbs von einem Nichtsteuerpflichtigen (Nichtunternehmer) nicht zum Abzug der USt berechtigt habe. Der Ausschluss von der Eigenverbrauchsbesteuerung solle auch gelten, wenn der Steuerpflichtige zwar beim Erwerb des Gegenstands keinen Vorsteuerabzug hatte, wohl aber für Dienstleistungen oder Lieferungen, die er von anderen Unternehmern zur Erhaltung oder zum Gebrauch des Gegenstands in Anspruch genommen und erhalten habe. Schließlich solle die Ausnahmeklausel des Art. 6 Abs. 2 S. 2 der 6. EG-Richtlinie den Mitgliedstaaten nicht das Recht geben, eine Besteuerung des Verwendungseigenverbrauchs in den Fällen vorzunehmen, in denen der verwendete Gegenstand nicht wenigstens zum teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt habe.
Rz. 464
Die Auswirkungen des EuGH-Urteils wurden in der FG-Rechtsprechung, der Literatur und von der Finanzverwaltung sehr unterschiedlich gesehen. Die Finanzverwaltung, ein Teil der Literatur und ein Teil der FG-Rechtsprechung wollten die Entscheidung eng begrenzen. Sie wollten sie z. T. nur auf die vom EuGH entschiedene Herausnahme der AfA beschränken und lehnten eine Ausdehnung auf andere Kosten im Rahmen des Verwendungseigenverbrauchs wie z. B. Garagenanmietung, Kfz-Steuer und Kfz-Versicherung ab. Sie akzeptieren lediglich die entsprechende Behandlung von Fällen, in denen aus anderen Gründen als dem Erwerb vom Nichtunternehmer ein Vorsteuerabzug ausgeschieden war, wie z. B. die Fälle der Einlage, des Erwerbs vom Kleinunternehmer nach § 19 Abs. 1 UStG oder der Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 28 Buchst. a UStG a. F. Andere vertraten eine weitergehende Auffassung und sahen eine Anwendung auch auf den Entnahme-Eigenverbrauch als zutreffend an. Die Finanzverwaltung hat sich einer Ausdehnung stets so lange verschlossen, bis die Rechtsprechung des EuGH oder des BFH sie zu einer weiteren Öffnung zwang.
Eine Grundsatzentscheidung des EuGH zur Besteuerung des Entnahmeeigenverbrauchs bei den mit Vorsteuerabzug belasteten nachträglich eingebauten Teilen hat dann zu einer abschließenden Klärung geführt. Nach Auffassung des EuGH ergibt sich aus Art. 5 Abs. 6 der 6. EG-RL, dass der Begriff "Bestandteile" sich nur auf greifbare und körperliche, in den Gegenstand integrierte Objekte und nicht auf Dienstleistungen beziehe. Der Begriff des Bestandteils umfasse sowohl Teile, die bereits im Zeitpunkt des ursprünglichen Erwerbs vorhanden waren als auch solche, die später in ihn eingegangen sind. Hat der eingebaute Gegenstand auch nach dem Einbau seine körperliche und wirtschaftliche Eigenart behalten, sind zwei getrennt zu beurteilende Entnahmen zu erfassen. Hat dagegen der eingebaute Gegenstand seine wirtschaftliche Eigenständigkeit verloren, kommt es darauf an, ob der Einbau zu einer dauerhaften Werterhöhung geführt hat und im Zeitpunkt der Entnahme nicht wirtschaftlich schon vollständig verbraucht ist. Nur in diesem...