3.5.2.1 Grundsätze zur Abgrenzung von Haupt- und Nebenleistungen
Rz. 111
Nach dem Unionsrecht wäre es zwar möglich, auf eine einheitliche Leistung (also auch auf Lieferungen) verschiedene Steuersätze anzuwenden. Von dieser Möglichkeit hat aber die Bundesrepublik Deutschland bisher keinen Gebrauch gemacht. Andererseits sind aber die EU-Mitgliedstaaten nicht daran gehindert, auf die gesamte Lieferung den Normalsatz (allgemeinen Steuersatz) anzuwenden, auch wenn einzelne Teile einer einheitlichen Lieferung für sich gesehen unter die Steuerermäßigung fielen.
Die Grundsätze, nach denen zu beurteilen ist, ob der Unternehmer dem Abnehmer mehrere selbstständige Hauptleistungen oder eine einheitliche Leistung erbringt bzw. ob Haupt- und Nebenleistungen vorliegen, hat die Verwaltung in Abschn. 3.10 UStAE (Einheitlichkeit der Leistung) zusammengefasst. Diese Fragen sind zunächst zu klären, um beurteilen zu können, auf welche Leistungen welche Steuersätze anzuwenden sind. Die Abgrenzung hat in vielen Bereichen erhebliche praktische Bedeutung, z. B. bei Friedhofsgärtnereien (Rz. 238ff.), im Garten- und Landschaftsbau (Rz. 241ff.) und bei den Leistungen landwirtschaftlicher Lohnunternehmer (Rz. 332ff.). Handelt es sich nach dem Ergebnis der Prüfung um Nebenleistungen, teilen diese nach deutschem Recht umsatzsteuerlich grundsätzlich das Schicksal der Lieferung. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz enthält jedoch § 12 Abs. 2 Nr. 11 S. 2 UStG. Danach gehören bestimmte Leistungen im Beherbergungsgewerbe (z. B. in Hotels, Pensionen) zwar regelmäßig zu den Nebenleistungen der Übernachtungsleistung und müssten nach den allgemeinen Grundsätzen das Schicksal der Hauptleistung (Beherbergungsleistung zum ermäßigten Steuersatz) teilen. Diese Nebenleistungen (z. B. die Gewährung des Frühstücks als typische Nebenleistung zu einer Übernachtung im Hotel) ist jedoch vor dem 1.7.2020 und nach dem 31.12.2023 (Rz. 64c ff.) mit dem allgemeinen USt-Satz zu versteuern, weil dies der Gesetzgeber in § 12 Abs. 2 Nr. 11 S. 2 UStG ausdrücklich geregelt hat. Dieses spezielle gesetzliche Aufteilungsgebot geht nach der BFH-Rechtsprechung und der aktuellen Verwaltungsauffassung dem allgemeinen Grundsatz der umsatzsteuerlichen Behandlung von Nebenleistungen vor. Nach der EuGH-Rechtsprechung ist allerdings eine einheitliche Leistung, die aus zwei separaten Bestandteilen besteht (einem Haupt- und einem Nebenbestandteil), für die bei getrennter Erbringung unterschiedliche Steuersätze gelten würden, nur zu dem für diese einheitliche Leistung geltenden Steuersatz zu besteuern, der sich nach dem Hauptbestandteil richtet. Dies gelte auch dann, wenn der Preis jedes Bestandteils, der in den vom Verbraucher für die Inanspruchnahme dieser Leistung gezahlten Gesamtpreis einfließt, bestimmt werden kann. Diese EuGH-Entscheidung ist in der Literatur zum Anlass genommen worden, die Vereinbarkeit von gesetzlichen Aufteilungsgeboten allgemein und speziell des Aufteilungsgebotes in § 12 Abs. 2 Nr. 11 S. 2 UStG mit dem Unionsrecht zu problematisieren. Die Bundesregierung vertritt jedoch die Auffassung, dass das EuGH-Urteil Stadion Amsterdam CV zu einem niederländischen Einzelfall mit einer besonderen Sachverhaltsgestaltung ergangen sei. Folgewirkungen für das nationale Umsatzsteuerrecht sieht die Bundesregierung derzeit nicht. Die unterschiedliche umsatzsteuerliche Behandlung von Übernachtungsleistung und Frühstück beruhe auf dem gesetzlichen Aufteilungsgebot des § 12 Abs. 2 Nr. 11 S. 2 UStG. Diese Regelung habe der BFH als mit der MwStSystRL vereinbar angesehen. Aus Sicht der Bundesregierung wird es auch künftig beim Aufteilungsgebot in § 12 Abs. 2 Nr. 11 S. 2 UStG und ansonsten bei dem Grundsatz bleiben, dass Nebenleistungen umsatzsteuerrechtlich das Schicksal der Hauptleistung teilen. Auch die Finanzgerichtsbarkeit hat entschieden, dass § 12 Abs. 2 Nr. 11 S. 2 UStG ein Aufteilungsgebot normiert, an dem auch nach der Entscheidung des EuGH v. 18.1.2018 Stadion Amsterdam (a. a. O.) noch festzuhalten sei.
Auf diese Verfahren gestützte Rechtsbehelfsverfahren ruhen nach § 363 Abs. 2 S. 2 AO kraft Gesetzes. Aussetzung der Vollziehung gewährte die Verwaltung dagegen nicht. Der BFH (V. Senat) hat inzwischen aber Zweifel, ob das gesetzliche Aufteilungsgebot des § 12 Abs. 2 Nr. 11 S. 2 UStG dem Unionsrecht entspricht und hat dem EuGH ein entsprechendes Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt. Bis hierüber entschieden ist, hat der BFH (XI. Senat) wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Aufteilungsgebots Aussetzung der Vollziehung angeordnet.
Rz. 111a
Die Steuerermäßigung für die Lieferung einer steuerbegünstigten Ware erstreckt sich grundsätzlich auch auf die Nebenleistung. Zur Annahme einer Nebenleistung ist erforderlich, dass sie im Vergleich zur Hauptleistung nebensächlich ist, mit ihr eng – i. S. einer wirtschaftlich gerechtfertigten Abrundung und Ergänzung – zusammenhängt und in ihrem Gefolge üblicherweise vorkommt. Diese Beurteilung gilt auch dann, wenn für die Nebenleistung ein besonderes Entge...