1.1 Wachstumsbeschleunigungsgesetz, Anwendungszeitpunkt
Rz. 1
§ 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG ist durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz v. 21.12.2009 mWv 1.1.2010 (vgl. Art. 15 Abs. 3 Wachstumsbeschleunigungsgesetz) in das UStG eingefügt worden. Die Norm gilt seither unverändert. Es gab vorher keine vergleichbare Vorschrift zur Steuerermäßigung für Beherbergungsleistungen und Vermietungen auf Campingplätzen; diese Umsätze unterlagen dem Regelsteuersatz gem. § 12 Abs. 1 UStG. Allerdings enthielt das UStG 1980 schon einmal eine Nr. 11 in § 12 Abs. 2 UStG: Diese Norm hatte sich mit dem ermäßigten Steuersatz für die Gestellung von Betriebshelfern und Haushaltshilfen befasst. Sie war Ende 1990 außer Kraft getreten und seither hatte § 12 Abs. 2 UStG nur 10 Nummern. Eine besondere Anwendungsvorschrift fehlte im Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Daher ist die Vorschrift auf alle nach dem 31.12.2009 ausgeführten Umsätze anzuwenden. Da Dienstleistungen im Zeitpunkt ihrer Beendigung ausgeführt sind, bedeutet dies, dass die Vorschrift auch schon für die Beherbergungen und Vermietungen von Campingflächen in der Nacht v. 31.12.2009 auf den 1.1.2010 anwendbar war. Es kommt nicht darauf an, wann die Buchung vorgenommen wurde. Falls eine unter § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG fallende Leistung über den 31.12.2009 hinweg erbracht wurde, die nach Tagen abgerechnet wird, handelt es sich um eine Dauerleistung, die nach Tagen in Teilleistungen gestückelt werden kann, sodass für die Tage bis Ende 2009 noch der Steuersatz von 19 % anzuwenden war und erst danach der Steuersatz von 7 % gilt.
Rz. 1a
§ 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG gilt, wie alle Steuerermäßigungen und -befreiungen, nur für Entgelte für im Inland steuerbare Leistungen. Der Ort der Leistung muss demnach gem. §§ 3a ff. UStG im Inland liegen. Die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden ist gem. Abschn. 3a.3 Abs. 4 Nr. 1 UStAE eine sonstige Leistung im Zusammenhang mit einem Grundstück. Nach den unionsrechtlichen Vorgaben hierzu gem. Art. 31a Abs. 2 Buchst. h MwSt-DV zählt dazu die "Zurverfügungstellung von Unterkünften in der Hotelbranche oder in Branchen mit ähnlicher Funktion wie z. B. in Ferienlagern oder auf einem als Campingplatz hergerichteten Gelände". Die Leistung gem. § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG wird also dort erbracht, wo das Grundstück belegen ist. Mithin hat die Vorschrift nur Bedeutung für im Inland belegene Grundstücke.
Rz. 1b
Bei einer Stornogebühr, die dem Hotelbetreiber im Fall des Rücktritts vom Vertrag seitens des Gastes zusteht, fehlt es an einem Leistungsaustausch. Es handelt sich um einen nicht steuerbaren Schadensersatz. Deshalb spielt die Vorschrift bei derartigen Zahlungen keine Rolle.
1.2 Geltung des § 29 UStG
Rz. 2
Die mit der Einführung von § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG gegenüber der vorherigen Rechtslage verbundene Steuersatzsenkung ab dem 1.1.2010 gibt bei Vertragsabschlüssen, die in der Zeit v. 1.9. bis zum 31.12.2009 stattgefunden haben und bei denen die neue Rechtslage noch nicht berücksichtigt wurde, dem Gast ggf. einen Anspruch auf Ausgleich der Minderbelastung des Vermieters gem. § 29 UStG. S. dazu die Erläuterungen zu § 29 UStG.
1.3 Unionsrechtliche Vorgaben
Rz. 3
Der unionsrechtliche Spielraum des nationalen Gesetzgebers für die Schaffung eines ermäßigten Steuersatzes ist in Art. 98 i. V. m. Anhang III MwStSystRL geregelt. Gemäß dessen Nr. 12 können folgende Umsätze einem ermäßigten Steuersatz unterworfen werden: "Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen, einschl. der Beherbergung in Ferienunterkünften und Vermietung von Campingplätzen und Plätzen für das Abstellen von Wohnwagen."
Rz. 3a
Die unter § 25 UStG fallenden Reiseleistungen i. S. v. Art. 306ff. MwStSystRL unterliegen nicht der Begünstigungsmöglichkeit – auch nicht hinsichtlich ihres Beherbergungsanteils. Dies gilt selbst für den Fall, dass die Reiseleistung nur aus einer Übernachtungsleistung besteht.
Rz. 4
Von der in Rz. 3 beschriebenen Möglichkeit zur Einführung eines ermäßigten Steuersatzes für derartige Hotelumsätze haben zahlreiche EU-Mitgliedstaaten Gebrauch gemacht. Viele von ihnen besteuern außerdem gem. der Nr. 12a des Anhangs III MwStSystRL seit dem 1.7.2009 auch die Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen, teilweise unter Ausnahme alkoholischer Getränke oder überhaupt von Getränken nur mit einem ermäßigten Steuersatz. Das hat der deutsche Gesetzgeber bisher nicht dauerhaft verfügt, sondern allein in der Zeit vom 30.6.2020 bis zum 31.12.2023 gem. § 12 Abs. 2 Nr. 15 UStG – bei zweimaliger Verlängerung der ursprünglichen Befristung bis zum 30.6.2021 – vorübergehend wegen der Coronakrise best...