Rz. 16
Beim Inkrafttreten des UStG 1980 war das Unionsrecht für die Anordnung ermäßigter Steuersätze durch das nationale Recht weitgehend bedeutungslos. Denn Art. 12 Abs. 4 S. 1 der 6. EG-Richtlinie regelte bei Inkrafttreten lediglich, dass bestimmte Lieferungen und bestimmte Dienstleistungen erhöhten oder ermäßigten Sätzen unterworfen werden konnten. Zu einer Einschränkung der für die Mitgliedstaaten bestehenden Regelungsbefugnisse kam es aber durch Art. 12 Abs. 3 Buchst. a i. V. m. Anhang H der der 6. EG-Richtlinie mWz 1.1.1993. Da nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG grundsätzlich alle denkbaren Leistungen unter den dort genannten Voraussetzungen steuerermäßigt sein können, soll die Vorschrift früher über das zugrunde liegende Unionsrecht hinaus gegangen sein. § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG beruht jetzt auf Art. 98 i. V. m. Anhang III Nr. 15 MwStSystRL. Die Steuerermäßigung nach dem Unionsrecht ist also beschränkt auf Leistungen für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit. Zwar sehen die Kategorien 7, 13 und 14 von Anhang III MwStSystRL auch Steuerermäßigungen für kulturelle und sportliche Veranstaltungen bzw. die Überlassung von Sportanlagen vor, einige nach nationalem deutschem Recht begünstigte Zwecke finden sich in Anhang III MwStSystRL (auch nach Ergehen der RL (EU) 2022/542) jedoch nicht wieder. Dies betrifft insbesondere die Leistungen im Bereich der Förderung von Wissenschaft und Forschung, Bildung und Erziehung, Religion, Völkerverständigung, Entwicklungshilfe, Umwelt-, Landschafts- und Denkmalschutz, Heimatpflege, Förderung des demokratischen Staatswesens, Förderung der Tierzucht, der Pflanzenzucht, der Kleingärtnerei und des Brauchtums usw. Die unionsrechtliche Harmonisierung der Steuersatzermäßigungen ist auch bei der Auslegung der abgabenrechtlichen Begriffe zu berücksichtigen, auf die § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG verweist, wie der BFH zum Begriff der Vermögensverwaltung nach § 14 AO i. V. m. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a S. 1 UStG bereits ausdrücklich entschieden hat. Dies gilt auch für die Auslegung der Zweckbetriebsdefinitionen der §§ 65ff. AO und damit z. B. bei der Bestimmung der Reichweite der Steuersatzermäßigung für Jugendherbergen nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG i. V. m. § 68 Nr. 1 Buchst. b AO. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a S. 1 UStG ist insoweit unionsrechtswidrig, als die Vorschrift nicht nur die Leistungen, die steuerbegünstigte Körperschaften für wohltätige Zwecke im Bereich der sozialen Sicherheit erbringen, sondern alle Leistungen dieser Körperschaften, wie z. B. auch bei der Förderung des Sports umfasst.
Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der engen Auslegung der Steuersatzermäßigungen als Ausnahmetatbestand folgt, dass zumindest andere als gemeinnützige Leistungen unionsrechtlich vom Anwendungsbereich der Steuersatzermäßigung gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG für gemeinnützige Körperschaften von vornherein ausgeschlossen sind.
Daher sind die Begriffe, die – unmittelbar oder mittelbar – gem. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a S. 2 UStG zur Anwendung des Regelsteuersatzes führen, weit auszulegen, während die Begriffe, die zur Anwendung des ermäßigten Steuersatzes führen, eng auszulegen sind.
Danach ist der Begriff des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs i. S. v. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a S. 2 UStG i. V. m. §§ 64, 14 AO weit auszulegen und umfasst jedwede unternehmerische Tätigkeit nach § 2 Abs. 1 UStG. Aufgrund der gebotenen umsatzsteuerrechtlichen Betrachtungsweise liegt eine Vermögensverwaltung i. S. v. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a S. 2 UStG i. V. m. § 64 Abs. 1 AO und § 14 S. 1 und 3 AO nur bei nichtunternehmerischen (nichtwirtschaftlichen) Tätigkeiten vor, wie z. B. beim bloßen Halten von Gesellschaftsanteilen.
Soweit in der Literatur die Ansicht vertreten wird, der Lenkungszweck des Art. 98 i. V. m. Anhang III MwStSystRL erfordere eine Berücksichtigung des sozialen Kontextes der Leistungserbringung, wird nach Auffassung des BFH dort nicht ausreichend gewichtet, dass Ermäßigungsvorschriften nur anzuwenden sind, soweit von ihnen keine oder nur eine geringe Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung ausgeht. Tritt ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb mit anderen Unternehmen mit dem allgemeinen Steuersatz unterliegenden Leistungen nicht nur in geringem Umfang in wettbewerbsverzerrende Konkurrenz, geht die Wettbewerbsneutralität einem unter Umständen entgegenstehenden Lenkungszweck vor.
Rz. 17
Nach der Rechtsprechung des EuGH sind für die Abgrenzung der subjektiven Voraussetzungen einer Steuerbefreiung nach Art. 132 MwStSystRL und der subjektiven Voraussetzungen der Steuerermäßigung nach Kategorie 15 in Anhang III MwStSystRL die gleichen Kriterien anzuwenden. Danach verfügen die Mitgliedstaaten über ein Ermessen bei der Frage, ob sie bestimmten Einrichtungen sozialen Charakter zuerkennen. Dieses Ermessen wird u. a. dann überschritten, wenn ein Mitgliedstaat Einrichtungen als gemeinnützig anerkennt, um auf bestimmte von ihnen erbrachte Leistungen un...