8.2.1 Vergebliche Vorschläge der EU-Kommission im Jahr 2003
Rz. 92
Das derzeitige MwSt-System in der EU stellt im Grunde lediglich eine Übergangsregelung dar, die später durch das sog. endgültige MwSt-System abgelöst werden soll. Weil ein Übergang zum endgültigen MwSt-System auf absehbare Zeit jedoch nicht realistisch ist, hat die EU-Kommission im Jahr 2003 Vorschläge bezüglich der Anwendung der Steuersätze im Rahmen der sog. Übergangsregelung vorgelegt. Allerdings konnten sich die EU-Mitgliedstaaten hierauf nicht verständigen.
Rz. 93 einstweilen frei
8.2.2 Änderung der MwStSystRL zum 1.6.2009
Rz. 94
Auch in den nachfolgenden Jahren konnten sich die EU-Mitgliedstaaten nicht auf eine grundlegende Neuregelung des EU-Rechts in Bezug auf die Steuersätze oder gar auf eine weitgehende Harmonisierung der Steuersätze und deren Anwendung verständigen. In ihrer Mitteilung v. 5.7.2007 an den Rat und das Europäische Parlament vertritt die EU-Kommission die Auffassung, dass die derzeitige Struktur der MwSt-Sätze und insbesondere die ermäßigten MwSt-Sätze vereinfacht und rationalisiert werden müssen. Diese Mitteilung basierte auf einer unabhängigen Untersuchung einer Expertengruppe für Wirtschaftsfragen und stellte sowohl die Ergebnisse dieser Untersuchung als auch Überlegungen zum weiteren Vorgehen im Bereich der ermäßigten MwSt-Sätze vor. Die Studie kam u. a. zum Ergebnis, dass vom wirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtet ein einheitlicher MwSt-Satz (pro EU-Mitgliedstaat) die beste Lösung wäre.
Die EU-Kommission legte allerdings davon abweichend am 7.7.2008 einen Richtlinienvorschlag vor, der allenfalls eine Ansammlung der in allen EU-Mitgliedstaaten geltenden Regelungen darstellt. Schließlich verabschiedete der Rat am 5.5.2009 die Richtlinie 2009/47/EG zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG (MwStSystRL) in Bezug auf ermäßigte Steuersätze. Diese Richtlinie ist am 1.6.2009 in Kraft getreten. Als wesentliche Änderung gegenüber den bisherigen Regelungen sind die bisher im Anhang IV der MwStSystRL enthaltenen Möglichkeiten der Steuerermäßigung für sog. arbeitsintensive Dienstleistungen zeitlich verstetigt und für alle EU-Mitgliedstaaten geöffnet worden. Hierfür wurden in Anhang III der MwStSystRL die neuen Nrn. 10a, 10b und 19 bis 21 eingeführt und der bisherige Anhang IV gestrichen. Danach haben nunmehr sämtliche EU-Mitgliedstaaten die Möglichkeit, auf die Renovierung und Reparatur von Privatwohnungen (mit Ausnahme von Materialien, die einen bedeutenden Teil des Werts der Dienstleistung ausmachen) einen ermäßigten Steuersatz anzuwenden. Schon bisher konnten nach dem EU-Recht Lieferung, Bau, Renovierung und Umbau von Wohnungen im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus ermäßigt besteuert werden.
Rz. 95
Darüber hinaus können die EU-Mitgliedstaaten auf Dienstleistungen im Gaststättengewerbe (Restaurantdienstleistungen) dauerhaft einen ermäßigten Steuersatz anwenden (neue Nr. 12a des Anhangs III der MwStSystRL). Das Gleiche gilt für die Lieferung von Büchern auf jeglichen physischen Trägern (neu gefasste Nr. 6 des Anhangs III der MwStSystRL).
8.2.3 Bis 5.4.2022 geltendes Unionsrecht bezüglich der Steuersätze
Rz. 96
Die EU-Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die Vorgaben des Unionsrechts hinsichtlich der Höhe und der Anwendung der MwSt-Sätze zu beachten. Diese Vorgaben ergeben sich aus Art. 96 bis 129 MwStSystRL und des Anhangs III der MwStSystRL i. d. F. ab 1.6.2009. Die dort aufgeführten Regelungen galten bis 5.4.2022. MWv 6.4.2022 sind die Regelungen der Art. 96 bis 129 MwStSystRL und des Anhangs III i. d. F. der EU-Richtlinie v. 5.4.2022 für die EU-Mitgliedstaaten maßgebend. Die EU-Mitgliedstaaten haben jedoch Zeit bis zum 31.12.2024 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen und zu veröffentlichen, die erforderlich sind, um den neuen Regeln zu entsprechen, die ab dem 1.1.2025 gelten sollen (vgl. im Einzelnen Rz. 91 und Rz. 106i ff.).
Rz. 97
Nach den bis 5.4.2022 geltenden Regelungen mussten die EU-Mitgliedstaaten nach Art. 97 Abs. 1 MwStSystRL einen allgemeinen Steuersatz (Normalsteuersatz) von mindestens 15 % anwenden. Dieser Mindestsatz war vorläufig nur für die Zeit bis 31.12.2010 festgeschrieben. Für die Zeit danach musste der Rat erneut über die Höhe des allgemeinen Steuersatzes entscheiden. Dementsprechend hat die EU-Kommission dem Rat am 24.6.2010 den "Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in Bezug auf die Dauer der Verpflichtung, einen Mindestnormalsatz einzuhalten" vorgelegt. Die Kommission schlug darin vor, den zum 31.12.2010 auslaufenden Mindestsatz für den Normalsatz bis zum 31.12.2015 fortzuschreiben. Dem hat der Rat mit der Richtlinie 2010/88/EU v. 7.12.2010 Rechnung getragen, sodass die Mitgliedstaaten den...