Rz. 148
Uneinbringlichkeit liegt in der Praxis vor, wenn der Schuldner die Forderung wegen Zahlungsunfähigkeit nicht erfüllen kann oder wegen Zahlungsunwilligkeit nicht erfüllen will. Beides kann sich aus den Gesamtumständen ergeben und muss nicht in jedem Fall durch entsprechende Vollstreckungsversuche untermauert werden. Im Fall einer längerfristig konkretisierten Zahlungsunwilligkeit ist eine Uneinbringlichkeit anzunehmen. Bei Zahlungsunfähigkeit des Leistungsempfängers ist grundsätzlich Uneinbringlichkeit gegeben, wobei laufende Zahlungen ohne Berücksichtigung ihres Rechtsgrunds ein Nichtbestehen der Zahlungsunfähigkeit dokumentieren sollen.
Rz. 149
Ist die Forderung langfristig gestundet, so kann Uneinbringlichkeit gegeben sein, wenn die Stundung wegen einer augenblicklichen Zahlungsunfähigkeit und nicht von vornherein als Zahlungsmodalität gewährt worden ist. Steht der Durchsetzung der Forderung eine Einrede entgegen, die den Leistungsempfänger zur Zahlungsverweigerung berechtigen, so ist ebenfalls Uneinbringlichkeit anzunehmen. Das gilt z. B. für die Einrede der Verjährung. Im Fall der Zahlungsverweigerung wegen eines Einforderungsverzichts (pactum de non petendo) durch den Gläubiger mit Ausnahme eines genau umschriebenen Nachbesserungsfalls ist Uneinbringlichkeit gegeben. Zu der ähnlichen Rechtslage in den Fällen der "vorläufigen" Uneinbringlichkeit vgl. Rz. 156a.
7.1.2.1.1 Noch nicht erfüllte Forderung
Rz. 150
Ist die Forderung bereits erfüllt, kann sie grundsätzlich nicht uneinbringlich sein. Ist das bereits gezahlte Entgelt ganz oder teilweise zurückgezahlt, kann es insoweit uneinbringlich werden. Zahlt z. B. ein Gläubiger des Insolvenzschuldners Beträge, die er vor Insolvenzeröffnung vom Insolvenzschuldner vereinnahmt hat, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens infolge einer erfolgreichen Insolvenzanfechtung in die Insolvenzmasse zurück, hat der Insolvenzverwalter im Zeitpunkt der Rückzahlung gem. § 17 Abs. 1 S. 2 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 S. 2 UStG den Vorsteuerabzug zu berichtigen. Die Berichtigung führt zur Entstehung einer Masseverbindlichkeit i. S. d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Masseverbindlichkeiten sind gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise, d. h. nicht durch eine Handlung des Insolvenzverwalters, durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Voraussetzung einer Masseverbindlichkeit i. S. d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO ist stets, dass die Verbindlichkeit durch die Insolvenzverwaltung ausgelöst wird oder mindestens einen (sonstigen) Bezug zur Insolvenzmasse aufweist. Nach § 55 Abs. 4 InsO gelten Umsatzsteuerverbindlichkeiten des Insolvenzschuldners, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder vom Schuldner nach Bestellung eines vorläufigen Sachwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit. Zur Anwendung der Vorschrift, auch mit Blick auf § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 UStG vgl. BMF-Schreiben v. 11.1.2022. Für die Berichtigung des Vorsteuerabzugs infolge erfolgreicher Insolvenzanfechtung ist unerheblich, ob der insolvenzrechtliche Rückgewähranspruch ein originär gesetzlicher Anspruch ist. Wird eine vom Insolvenzschuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleistete Entgeltzahlung für eine bezogene Leistung erfolgreich nach §§ 129ff. InsO vom Insolvenzverwalter angefochten und das Entgelt zurückgezahlt, ist der Vorsteuerabzug gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 UStG zu berichtigen. Die Berichtigung des Vorsteuerabzugs ist nach der Verwaltungsauffassung im Zeitpunkt der tatsächlichen Entgeltrückgewähr an den Insolvenzverwalter vorzunehmen und nicht bereits bei Entstehung des zivilrechtlichen Anspruchs auf Rückgewähr. Denn erst mit der Rückzahlung des Entgelts wird dieses nachträglich uneinbringlich, sodass der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand erst zu diesem Zeitpunkt eintreten kann. Da sich die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten danach bestimmt, ob der den Anspruch begründende Tatbestand vor oder nach Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht und abgeschlossen ist, entsteht der Anspruch auf Berichtigung des Vorsteuerabzugs infolge der Rückgewähr einer insolvenzrechtlich angefochtenen Entgeltzahlung gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 2, Abs. 1 S. 2 UStG regelmäßig im Rahmen der Masseverwaltung und erhöht die gem. § 55 Abs. 1 S. 1 InsO als Masseverbindlichkeit festzusetzende Umsatzsteuerjahresschuld, welche gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend zu machen ist. Ist das Entgelt teilweise entrichtet, so kann die ...