Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Rz. 115a
Ob die Rechtsfähigkeit eines Zusammenschlusses notwendige Voraussetzung für die Unternehmereigenschaft ist, war lange Zeit nicht thematisiert. So hatte der BFH mehrfach für zivilrechtlich nicht rechtsfähige Bruchteilsgemeinschaften festgestellt, dass Rechtsfähigkeit i. S. d. BGB für die Eigenschaft als Steuerpflichtiger i. S. d. UStG nicht erforderlich ist. Diese Einordnung war sowohl vor dem Hintergrund einer einheitlichen Rechtsanwendung bei unterschiedlichen zivilrechtlichen Regelungen in der EU sinnvoll als auch für eine praxisgerechte Abwicklung notwendig. Eine auf den einzelnen Bruchteilsgemeinschafter bezogene Unternehmereigenschaft unter Umgehung der Gemeinschaft als solcher, hätte in verschiedenen Fragen (z. B. Zurechnung der Umsätze für Prüfung der Kleinunternehmereigenschaft, Prüfung der Steuerbarkeit bei von der Person des Leistungsempfängers abhängiger Feststellung des Orts der sonstigen Leistung, Fragen der Rechnungsausstellung, Voraussetzung und Ausübung einer Option nach § 9 UStG, Vorsteuerabzugsberechtigung und Aufteilung) zu erheblichen Problemen geführt. Aber nicht nur die Bruchteilsgemeinschaft als zivilrechtlich nicht rechtsfähiger Zusammenschluss, sondern z. B. auch die (ungeteilte) Erbengemeinschaft wäre vor dieselben Probleme gestellt worden.
Rz. 115b
Nachdem die FinVerw im Zusammenhang mit Fragen zur Vorsteuerabzugsberechtigung der jeweils eigenunternehmerischen Nutzung eines durch mehrere Unternehmer gemeinsam erworbenen Gegenstands einen Nichtanwendungserlass herausgegeben hatte, der aber nichts mit der grundsätzlichen Frage der Unternehmereigenschaft einer wirtschaftlich tätigen Bruchteilsgemeinschaft zu tun hatte und dort – wenig systematisch überzeugend – lediglich für Zwecke des Vorsteuerabzugs jeden unternehmerisch tätigen Gemeinschafter als Leistungsempfänger angesehen hatte, nahm der BFH dies zum Anlass sich nochmals mit dem Thema der Bruchteilsgemeinschaft auseinanderzusetzen.
Rz. 115c
In einem Fall einer Erfindergemeinschaft, in dem es neben der Frage des anzuwendenden Steuersatzes um die grundsätzliche Frage ging, ob der Gemeinschafter oder die Bruchteilsgemeinschaft Schuldner einer entstehenden Umsatzsteuer geworden war, entschied der BFH, dass die Bruchteilsgemeinschaft nicht eigenständig unternehmerisch tätig ist. Dabei ist nach der Entscheidung des BFH nicht zwischen einer gemeinschaftlichen Leistungserbringung mit dem (Bruchteils)Recht und einem gemeinschaftlichen Leistungsbezug für dieses (Bruchteils)Recht zu unterscheiden. Zivilrechtlich kommt es mangels Rechtsfähigkeit der Gemeinschaft in beiden Fällen zwingend zu einer Zuordnung zum Gemeinschafter, die auch umsatzsteuerrechtlich zu beachten ist. Da die Gemeinschaft zivilrechtlich unfähig ist, Trägerin von Rechten und Pflichten zu sein, nimmt sie weder selbst noch durch Vertreter am Rechtsverkehr teil. Folgerichtig kam auf der Grundlage dieser Überlegungen der BFH zu dem Ergebnis, dass eine Bruchteilsgemeinschaft kein Unternehmer sein kann, sodass der BFH seine bisherige – anderslautende – Rechtsprechung ausdrücklich aufgab.
Rz. 115d
Der BFH hat dann in einer späteren Entscheidung seine Rechtsauffassung ausdrücklich bestätigt. Gestützt sah er sich auch durch eine Aussage der Generalanwältin beim EuGH, die in einem Schlussantrag feststellte, dass wirtschaftliche Tätigkeit voraussetzt, dass die jeweilige nationale Rechtsordnung die Fähigkeit verleiht, im Rechtsverkehr (wirtschaftlich) zu handeln. Im Rechtsverkehr handeln können aber nur Gebilde, die in der Lage sind, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, mithin rechtsfähig sind. Der EuGH hat in seiner Entscheidung aufgrund anderer Erwägungen – nämlich dem Auftreten nach außen – die Frage der zivilrechtlichen Rechtsfähigkeit nicht thematisiert. Obwohl der EuGH in seiner Entscheidung auf verschiedene Feststellungen der Generalanwältin ausdrücklich Bezug genommen hatte, wurde diese entsprechende Aussage nicht mit in das Urteil aufgenommen.
Rz. 115e
Die sich für die Praxis aus dieser Rechtsfrage sowohl für die wirtschaftlich nach außen tätigen Bruchteilsgemeinschaften aber auch anderen Zusammenschlüsse, die zivilrechtlich nicht rechtsfähig sind – wie z. B. die (ungeteilte) Erbengemeinschaft oder im Inland zivilrechtlich nicht anerkannte Gesellschaften ausländischen Rechts – ergebenden Probleme sind – zumindest ab dem 1.1.2023 – auf gesetzlicher Ebene gelöst. Zur Rechtssicherheit ist mWv 1.1.2023 in § 2 Abs. 1 S. 1 UStG klarstellend mit aufgenommen worden, dass die Unternehmereigenschaft unabhängig davon besteht, ob nach anderen Vorschriften Rechtsfähigkeit vorliegt. Ob der EuGH irgendwann diese für die Praxis sinnvolle gesetzliche Klarstellung als mit dem Unionsrecht nicht vereinbar einstufen sollte, muss abgewartet werden; grundsätzlich erscheint aber eine von nationalen (ggf. unterschiedlichen) zivilrechtlichen Besonderheiten unabhängige Beurteilung der Unternehmereigenschaft vor dem Hintergrund einer möglichst einheitlichen Rechtsanwendung...