Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Rz. 83
§ 20 S. 1 Nr. 3 UStG zielt darauf ab, einen steuerrechtlichen Gleichklang zwischen ertragsteuerrechtlichen und umsatzsteuerrechtlichen Aufzeichnungsvorschriften herzustellen. Freiberuflich Tätige werden – soweit sie nicht nach anderen Gesetzen zur Führung von Büchern verpflichtet sind – regelmäßig ihren Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG (Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben) ermitteln. Würde der Freiberufler in diesen Fällen aus umsatzsteuerrechtlichen Gründen dazu verpflichtet werden, seine Umsätze aufzuzeichnen, um die Berechnung der USt nach vereinbarten Entgelten nach § 16 Abs. 1 UStG durchzuführen, würde er einen wesentlichen Teil der für die Buchführungspflicht notwendigen Aufzeichnungen führen müssen.
Rz. 84
Umstritten war, ob die Berechnung der USt nach vereinnahmten Entgelten über § 20 S. 1 Nr. 3 UStG – unabhängig von einer Gesamtumsatzgrenze – auch für die Unternehmer in Betracht kommen kann, die dem Grunde nach Umsätze i. S. d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausführen, aber nach anderen gesetzlichen Vorschriften zur Führung von Büchern verpflichtet sind. Insbesondere betrifft die Frage die in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft ausgeführten freiberuflichen Tätigkeiten, z. B. die Umsätze einer Steuerberatungs-GmbH oder einer Architekten- oder Ingenieur-GmbH.
Rz. 85
Nachdem der BFH schon 1999 festgestellt hatte, dass die Berechnung der USt nach vereinnahmten Entgelten für eine Kapitalgesellschaft nach § 20 S. 1 Nr. 3 UStG nicht in Betracht kommen kann, musste er sich 2010 erneut mit diesem Thema beschäftigen. In seinen Entscheidungen hat der BFH grundsätzlich klargestellt, dass eine Steuerberatungs-GmbH mit buchführungspflichtigen Umsätzen nicht zur Steuerberechnung nach vereinnahmten Entgelten gem. § 20 S. 1 Nr. 3 UStG berechtigt ist. Weder aus der historischen Entwicklung noch aus dem Unionsrecht lässt sich ableiten, dass eine Kapitalgesellschaft, die zur Führung von Büchern verpflichtet ist und regelmäßig Abschlüsse zu erstellen hat (§ 238 i. V. m. § 264ff. HGB), die Berechnung der USt nach vereinnahmten Entgelten vornehmen kann. Nach Auffassung des BFH hat der Gesetzgeber den durch das Unionsrecht vorgegebenen Rahmen nicht überschritten. Anders als Stadie, der sich grundsätzlich gegen die Berechnung der USt nach vereinbarten Entgelten wendet und darin lediglich eine pro fiskalische Regelung sieht, die gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und die Rechtsformneutralität verstößt, sieht der BFH durch die auf der unionsrechtlichen Ermächtigung beruhenden Unterscheidung zwischen der Besteuerung nach vereinbarten und vereinnahmten Entgelten keinen Verstoß gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität oder gegen den hieraus abgeleiteten Grundsatz der Rechtsformneutralität. Im Ergebnis ist – obwohl Stadie insoweit zuzustimmen ist, dass die grundsätzliche Umstellung der Berechnung der USt auf vereinnahmte Entgelte aus systematischer Sicht sinnvoll wäre – der Auffassung des BFH zuzustimmen, dass auf Basis der derzeitigen gesetzlichen Lage gem. § 20 S. 1 Nr. 3 UStG die Berechnung der USt nach vereinnahmten Entgelten für buchführungspflichtige Kapitalgesellschaften nicht in Betracht kommen kann.
Rz. 86
Insbesondere sind auch die vom Gesetzgeber offensichtlich gewollten Ergebnisse zu berücksichtigen, die für die Regelungen des § 20 S. 1 UStG maßgeblich waren. Nach § 20 S. 1 Nr. 1 UStG sollte für kleinere und mittlere Unternehmer eine liquiditätsmäßige Entlastung dadurch geschaffen werden, dass die USt nicht von dem Unternehmer vorzufinanzieren ist. § 20 S. 1 Nr. 3 UStG hat einen anderen systematischen Hintergrund – der Unternehmer soll nicht nur für umsatzsteuerrechtliche Zwecke zur Führung von Aufzeichnungen verpflichtet werden. Da die Voraussetzungen für die Berechnung der USt nach vereinbarten Entgelten bei einer zur Führung von Büchern verpflichteten Kapitalgesellschaft zweifellos vorliegen, besteht keine Notwendigkeit, bei Überschreiten der Gesamtumsatzgrenze nach § 20 S. 1 Nr. 1 UStG eine Berechnung nach vereinnahmten Entgelten zu gestatten. Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass die Genehmigung der Berechnung der USt nach vereinnahmten Entgelten für eine buchführungspflichtige Kapitalgesellschaft auch wieder zu gleichheitswidrigen Ergebnissen führen würde, da nicht ersichtlich ist, warum Umsätze aus einer freiberuflichen Tätigkeit – unabhängig von der Buchführungsverpflichtung – gegenüber gewerblichen Umsätzen erst zu einem späteren Zeitpunkt der Besteuerung unterliegen sollten – oder anders ausgedrückt, warum die Steuerberatungs-GmbH mit einem Umsatz von 2 Mio. EUR die USt nach vereinnahmten Entgelten berechnen sollte, die Handwerker-GmbH mit 900.000 EUR aber ihre Umsätze nach vereinbarten Entgelten besteuern muss.
Rz. 87
Gegen das Urteil des BFH war Verfassungsbeschwerde beim BVerfG erhoben worden, die aber vom Verfassungsgericht 2013 nicht zur Entscheidung angenommen worden war. Die von der Beschwerdeführerin behaupteten Verfassungsverstöße waren nach Auffass...