Rz. 45
Gem. § 25d Abs. 2 UStG ist von einer Kenntnis bzw. einem Kennenmüssen auszugehen, wenn entweder
- der Unternehmer für seinen Umsatz einen Preis in Rechnung stellt, der zum Zeitpunkt des Umsatzes unter dem marktüblichen Preis liegt (a), oder
- der dem Unternehmer in Rechnung gestellte Preis unter dem marktüblichen Preis liegt (b) oder
- der dem Unternehmer in Rechnung gestellte Preis unter dem Preis liegt, der seinem Lieferanten oder anderen Lieferanten, die am Erwerb der Ware beteiligt waren, in Rechnung gestellt wurde (c).
Beim Fall des § 25d Abs. 2 S. 1 UStG kommt es auf die Preisgestaltung des Unternehmers an, der als Haftender in Betracht kommt. In den beiden anderen Fallgruppen nach § 25d Abs. 2 S. 2 UStG ist die Preisgestaltung seines Vorlieferers oder derjenigen eines Vorlieferers des Lieferers des Unternehmers maßgebend.
Rz. 46
Als marktüblicher Preis ist der Bruttobetrag, also einschließlich der USt, gemeint. Marktüblich soll dabei ein Preis sein, „den ein Leistungsempfänger an einen Unternehmer unter Berücksichtigung der Handelsstufe zahlen müsste, um die betreffende Leistung zu diesem Zeitpunkt unter den Bedingungen des freien Wettbewerbs zu erhalten.
Rz. 47
(a) Stellt der Unternehmer für seinen Umsatz (ein solcher muss gegeben sein!) einen Preis in Rechnung, der zur Zeit des Umsatzes unter dem marktüblichen Preis liegt, soll davon ausgegangen werden können, dass der Unternehmer das Vorliegen der für die Haftung erforderlichen Voraussetzungen zumindest kennen müsste. Ob die Formulierung in § 25d Abs. 2 S. 1 UStG „Von der Kenntnis oder dem Kennenmüssen ist insbesondere auszugehen, …” eine Fiktion enthält, die gem. § 25d Abs. 2 S. 3 UStG widerlegbar ist oder als Aufstellung von Indizien, ist dabei im Ergebnis belanglos.
Rz. 48
Die Fiktion stellt nicht darauf ab, ob der vom Unternehmer in Rechnung gestellte Preis höher oder niedriger als der Preis ist, der dem Unternehmer von seinem Vorlieferanten in Rechnung gestellt worden ist. Die Relation zwischen An- und Verkaufspreis spielt auch bei den anderen beiden Fiktionen des § 25d Abs. 2 S. 1 und 2 UStG keine Rolle. Allein maßgebend für die Fiktion nach § 25d Abs. 2 S. 1 UStG ist der Vergleich des vom Unternehmer für seinen Umsatz berechneten Preises mit dem marktüblichen Preis. Ist der niedriger als der marktübliche wie z. B. meist bei einem Räumungsverkauf, tritt die Fiktion zunächst einmal ein. Sie kann jedoch vom Unternehmer nach § 25d Abs. 2 S. 3 UStG widerlegt werden (siehe dazu Rz. 51ff.).
Rz. 49
(b) Im Fall des § 25d Abs. 2 S. 2 1. Altern. UStG tritt die Fiktion des Kennenmüssens ein, wenn der Preis des Vorlieferanten des Unternehmers unter dem marktüblichen Preis lag. Der Unternehmer, um dessen Haftung es geht, muss seinen Einkauf also zu billig erhalten haben. Da die Karussellgeschäfte häufig dazu benutzt werden, durch Ersparung von USt niedrigere Preise zu finanzieren, mit denen man sich einen Wettbewerbsvorteil verschafft, ist ein solcher Preis unter dem marktüblichen ein typisches Anzeichen für eine solche Gestaltung.
Rz. 50
(c) Für die Fiktion nach § 25d Abs. 2 S. 2 2. Altern. UStG muss der dem Unternehmer für die Lieferung an ihn in Rechnung gestellte Preis unter demjenigen Preis gelegen haben, der seinem Vorlieferanten oder einem anderen, am Erwerb der Ware Beteiligten in Rechnung gestellt worden ist. Der Einstandspreis des bzw. der Vorlieferer soll also die Fiktion für das Kennenmüssen des Unternehmers ergeben. Dieses ist nicht zu verstehen, da dieser Vorgang des Erwerbs auf der Vorstufe und der sich daraus mögliche Preisvergleich dem Unternehmer nicht bekannt zu sein braucht und häufig auch nicht bekannt ist. Auf solchen häufig unbekannten Umständen die Fiktion des Kennenmüssens aufzubauen, erscheint sehr unglücklich. Hinzu kommt, dass eine Widerlegung der Fiktion nach § 25d Abs. 2 S. 3 UStG nur darauf gestützt werden darf, dass die Preisgestaltung betriebswirtschaftlich begründet ist. Mit Unkenntnis von der Preisgestaltung kann die Fiktion also nicht aus den Angeln gehoben werden. Diese Beweislastumkehr mit unzulässig beschränkter Einschränkung der Widerlegungsmöglichkeit ist m. E. eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.