Rz. 10
Damit ist bereits die Suche nach den unionsrechtlichen Vorgaben für die Vorschrift angesprochen. Die Antwort ist einfach: Es gibt keine konkrete Regelung in der MwStSystRL oder in anderen unionsrechtlichen Normen für die in § 25f UStG angeordneten Rechtsfolgen. Es gibt nur die oben beschriebene Rechtsprechung des EuGH, die er damit begründet, dass die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen und missbräuchlichen Gestaltungen sowie Umgehungen ein von den MwSt-Richtlinien anerkanntes und gefördertes Ziel sei.
Rz. 11
Der EuGH verweigert mit der oben in Rz. 6 dokumentierten Rechtsprechung zur Erreichung dieses Ziels dem Unternehmer das Berufungsrecht auf ihm günstige Unionsrechtsnormen, wenn er das in betrügerischer oder missbräuchlicher Absicht tut. Man könnte auch sagen, der EuGH lässt nur ehrliche Unternehmer an dem im Mehrwertsteuersystem angelegten Nullsummenspiel von Steuer und Vorsteuer teilhaben; der unehrliche Unternehmer wird "vom Platz gestellt" und verliert seine Rechte. Die sich in Deutschland stellende Frage zum Konkurrenzverhältnis zwischen der in § 25f UStG übernommenen unionalen Betrachtung des EuGH und der nationalen Missbrauchsnorm des § 42 AO, die schon oben in Rz. 9 angesprochen wurde, interessiert den EuGH selbstverständlich nicht. Methodisch betrachtet folgt der EuGH mangels besonderer Missbrauchsvorschriften in der MwStSystRL der sog. Innentheorie, wonach Normen aus sich heraus so auszulegen sind, dass der Missbrauch entsprechend dem Gesetzeszweck keine Beachtung finden kann.
Rz. 12
Diese subjektive Disqualifikation trifft nicht nur den Unternehmer, der selbst Umsatzsteuer hinterzieht oder sich missbräuchlicher Praktiken bedient, der also selbst mit doloser Absicht handelt. Es trifft auch die selbst ehrlichen Unternehmer, wenn diese wissen oder wissen müssen, dass andere Unternehmer auf einer ihren eigenen Umsätzen vorgelagerten oder nachgelagerten Umsatzstufe sich einer Hinterziehung schuldig machen. Das widerspricht dem Grundsatz der Einzelbetrachtung der Umsätze, den der EuGH sonst beachtet..
Rz. 13
Der EuGH lässt sich also von einer subjektiven Sicht auf die inneren Beweggründe der Unternehmer leiten. Die Beweislast bürdet er dazu den staatlichen Behörden auf. Sie müssen nachweisen, dass der Unternehmer sich unredlich verhalten hat, nicht der Unternehmer muss nachweisen, dass er nichts wusste. Dies gilt sowohl für die betrügerischen als auch für die Missbrauchsfälle. Das ist zwar für die Behörden oft schwierig, aber der Negativnachweis wäre für den Unternehmer noch schwieriger, denn negative Tatsachen lassen sich nicht zuverlässig erweisen. Insofern ist die Beweislastverteilung des EuGH sehr rechtsstaatlich und dem vom EuGH immer wieder hervorgehobenen Umstand angemessen, dass der Unternehmer vom Mehrwertsteuersystem gleichsam als "Steuereinsammler" in Dienst genommen wird. In den Urteilen v. 1.12.2022, v. 9.1.2023 und v. 11.1.2024 hat der EuGH betont, dass vom Steuerpflichtigen eine erhöhte Sorgfalt verlangt werden kann, wenn er Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung durch seinen Geschäftspartner erkennt. Im Urteil v. 11.1.2024 sagt der EuGH wörtlich zur Beweislast hinsichtlich des Wissens oder Wissenmüssens des Steuerpflichtigen von der Hinterziehung durch den Geschäftspartner: "Es kann jedoch nicht von ihm verlangt werden, dass er komplexe und umfassende Überprüfungen durchführt, wie sie von der Steuerverwaltung vorgenommen werden können."
Rz. 14
Die Regierungsbegründung führte dazu aus, dass der den Vorsteuerabzug bzw. die Steuerbefreiung begehrende Unternehmer grundsätzlich zunächst in tatsächlicher Hinsicht die Feststellungslast für das Vorliegen der Begünstigung (Vorsteuerabzug bzw. Steuerbefreiung) zu tragen hat. Im Weiteren seien die objektiven Umstände, die für eine wissentliche Einbindung des Unternehmers sprechen, seitens der Finanzverwaltung darzulegen. Das hat die Verwaltung in Abschn. 25f.1 Abs. 1 und 2 UStAE übernommen. Der EuGH legt der Verwaltung, wie schon in Rz. 13 erwähnt aber nicht nur die Darlegungslast, sondern die strenge Beweislast auf.
Rz. 15
Man mag mit Wäger die kritiklose Übernahme dieser Rechtsprechung des EuGH durch den BFH und auch durch den BGH beanstanden, angesichts des oben beschriebenen absoluten Entscheidungsmonopols des EuGH in diesen Fragen kann diese Kritik aber nicht auf Befolgung durch die Verwaltung oder die Rechtsprechung hoffen. Abschn. 25f UStAE enthält sich dazu verständlicherweise jeder Äußerung.
Rz. 16
Allein die Gerichte können allerdings durch ihre Vorabentscheidungsersuchen dem EuGH immer wieder darlegen, warum sie Zweifel an der Richtigkeit seiner Rechtsprechung haben. Die Verwaltung hat als Partei zwar auch Zugang zum EuGH, kann aber kein Verfahren durch ein Vorabentscheidungsersuchen zum EuGH bringen. Damit können die Zweifel an der Reichweite der Befreiungs- und Abzugsversagung des § 25f UStG unionsrechtlich geklärt werden. Und dann mag sich der EuGH oder das EG auch mit dem – ni...