Rz. 9
§ 26c UStG stellt den strafrechtlichen "Qualifikationstatbestand" der Ordnungswidrigkeit des § 26a Abs. 1 UStG (früher § 26b UStG) dar und verfolgt insoweit denselben Gesetzeszweck wie diese Vorschrift, die Regelung will besonders verwerfliche und schädliche Begehungsweisen der Nichtzahlung von Umsatzsteuer verschärft sanktionieren. In der Tat bestand und besteht angesichts der durch den organisierten Umsatzsteuerbetrug verursachten Steuerausfälle bei der USt Handlungsbedarf, weil die bloße Nichtzahlung einer Steuer bis zur Schaffung dieser Regelungen strafrechtlich nicht sanktioniert war, bestand hier in bestimmten Fällen eine Gesetzeslücke. Schon bei Schaffung der Regelungen ließen die vorliegenden Schätzungen zu den Steuerausfällen jährlich wiederkehrende Schäden in Milliardenhöhe vermuten. Zwar wichen die Angaben zur Schadenshöhe stark voneinander ab, was schon damit zusammenhing, dass nicht immer zwischen allen Ausfallrisiken der USt und den Ausfällen, welche durch Karussellgeschäfte verursacht werden, unterschieden wurde und wird. So ging die Bundesregierung bereits im Jahr 2001 von jährlichen (Gesamt-)Steuerausfällen bei der USt von 20 Mrd. EUR aus, die Verantwortlichen eines etwa ab dem Jahr 2004 durchgeführten "Planspiels" zur Erprobung der Einführung des (generellen) Reverse-Charge-Verfahrens nannten für die Karussellgeschäfte für Deutschland jährliche Steuerausfälle von 2,1 Mrd. EUR.
Rz. 10
Unabhängig von der Richtigkeit dieser Zahlen ließen schon die von den Strafverfolgungsbehörden festgestellten Einzelfälle wenig Gutes ahnen. Die jeweils ermittelten Steuerausfälle in diesen Fahndungsfällen hatten und haben häufig ein Hinterziehungsvolumen in Millionenhöhe zum Gegenstand. Vielen dieser Fälle war und ist gemeinsam, dass die hinterzogenen Beträge i. d. R. nicht mehr beitreibbar sind, sie führen also zu unwiederbringlichen Steuerausfällen. Stimmen in der Literatur ist darin beizupflichten, dass sich die "Mitglieder" solcher Straftaten – insbesondere die Initiatoren – hemmungslos zulasten des Steuerzahlers bereichern. Gerade die organisierten Formen des Umsatzsteuerbetrugs schädigen zudem nicht nur das Steueraufkommen, sie beeinflussen vielmehr auch das Preisgefüge von Wirtschaftsgütern und schädigen damit alle ehrlichen Unternehmer. Sie können zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen führen, weil die "ersparte" USt oft zu einem bestimmten Teil in die Kalkulation der Preise der Wirtschaftsgüter einbezogen wird und diese sich damit konkurrenzlos günstig anbieten lassen.
Rz. 11
§ 26c UStG soll demnach in erster Linie der Eindämmung des Umsatzsteuerkarussellbetrugs oder besser des organisierten Umsatzsteuerbetrugs dienen. Ob sich dieser Zweck mit § 26c UStG seit seiner Einführung tatsächlich verwirklichen ließ, erscheint aber eher zweifelhaft. Unabhängig von den vielen schwierigen Fragen der Ausfüllung des Tatbestands besteht eher wenig praktische Relevanz, in den Steuerstrafsachenstatistiken wird die Vorschrift überhaupt nicht separat genannt. So fand in den Jahren 2003 und 2004 keine einzige Verurteilung nach § 26c UStG statt. Diese fehlende Anwendung in der Praxis hat sich in den letzten Jahren wohl fortgesetzt. Das lässt sich schon aus den wenigen vorhandenen Zahlen zum Ordnungswidrigkeitstatbestand des früheren § 26b UStG (jetzt § 26a Abs. 1 UStG) ablesen, so kam dieser im Jahr 2012 bundesweit (!) gerade 596, im Jahr 2018 1075 und im Jahr 2019 957 mal zur Anwendung.
Einen "Brennpunkt" der strafrechtlichen Verfolgung der Umsatzsteuerhinterziehung stellt die Vorschrift also nicht dar, vielen Rechtsanwendern dürfte der § 26c UStG wohl gänzlich unbekannt sein.
Rz. 12
M.E. wird der Gesetzeszweck des § 26c UStG schon wegen der erheblichen Reichweite des Tatbestands der Vorschrift und der damit nicht im Einklang stehenden fehlenden praktischen Anwendung eher verfehlt, denn der Anwendungsbereich der Regelung ist vom Ansatz her zu weit. Vor allem trifft die Variante der gewerblichen Begehungsweise u. U. auch solche Stpfl. (Rz. 20ff.), die wiederholt Steuern anmelden und diese dann deshalb nicht zahlen, weil sie dies entweder nicht können oder weil sie unzuverlässig sind. Reiß führte deshalb zu Recht schon bei Schaffung der Regelung zu ihrer Rechtfertigung an, dass hier eigentlich zu differenzieren ist zwischen der "normalen" Nichtentrichtung einer Steuer einschließlich der USt und der besonders verwerflichen Nichtentrichtung einer Steuer, für die ein anderer eine Steuervergütung erhält.
Das klingt nachvollziehbar, tatsächlich stehen aber die Steuerschuld des Leistenden und die Vorsteuerabzugsberechtigung des Leistungsempfängers nicht in einem derartigen inhaltlichen Zusammenhang, dass der Vorsteuerabzug nur zu gewähren ist, wenn die Steuerschuld bezahlt wird. Bei beiden Steuertatbeständen müssen die umsatzsteuerrechtlichen Voraussetzungen jeweils gesondert vorliegen; allenfalls bei einem kollusiven betrügerischen Zusammenwirken von Leistendem und Leistungsempfängers d...