Rz. 99
Die Umsatzsteuer-Nachschau muss als Maßnahme des Besteuerungsverfahrens strikt von der Steuerfahndungsprüfung im Steuerstrafverfahren nach § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 AO abgegrenzt werden; beide Maßnahmen unterscheiden sich grundlegend, weil im Strafverfahren andere Eingriffsrechte bestehen und dem Steuerpflichtigen auch andere Rechte zustehen. Die Steuerfahndung ermittelt hier im Steuerstrafverfahren mit den Mitteln der Strafprozessordnung, wenn ein strafrechtlicher Anfangsverdacht besteht. Der Einsatz einer Umsatzsteuer-Nachschau ist beim Vorliegen der Voraussetzungen der Durchführung einer Fahndungsprüfung fehl am Platz, denn sie hat eine Maßnahme des Besteuerungsverfahrens zum Gegenstand. Spätestens beim Vorliegen eines strafrechtlichen Anfangsverdachts handelt es sich um eine ungeeignete Maßnahme der Finanzbehörde, welche u. a. zu strafprozessualen Verwertungsverboten führen kann. Vor allem wird der betroffene Steuerpflichtige aber "gewarnt", dass die Finanzbehörden auf ihn aufmerksam geworden sind; er kann nun insbesondere ihn belastende Unterlagen (insbesondere die strafrechtlich relevanten Beweismittel) vernichten oder verändern oder er "verschwindet" gänzlich.
Rz. 100
Der erforderliche strafrechtliche Anfangsverdacht besteht dann, wenn es nach kriminalistischer Erfahrung möglich ist, dass eine verfolgbare Straftat vorliegt. Nach der strafrechtlichen Rechtsprechung kann diese "Möglichkeit" bereits dann schon bestehen, wenn entfernte Indizien für die Begehung von Straftaten sprechen. Nach überwiegender und richtiger Auffassung müssen für einen Anfangsverdacht aber zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung der Straftat bestehen. Hierbei handelt es sich um keine Ermessensentscheidung, allenfalls bei der Gewichtung der vorliegenden Indizien besteht ein gewisser Beurteilungsspielraum.
Rz. 101
Im Ergebnis kann die Schwelle zum Anfangsverdacht zwar in konkreten Fällen durchaus schnell überschritten sein, in der Praxis ist aber gerade die Abgrenzung zur Vermutung der Begehung einer Steuerstraftat schwierig, was insbesondere bei den Umsatzsteuerbetrugsfällen – wie z. B. den Karussellfällen – der Fall ist. Hier ist z. B. häufig fraglich, warum ein bestimmter Unternehmer innerhalb kurzer Zeiträume ungewöhnlich hohe Umsatzzuwächse hat, ohne dass bei ihm eine herausragende Erfindung oder ein außergewöhnliches Geschäftsfeld erkennbar ist (sog. Phönixunternehmen). In derartigen Fällen liegt ebenso oft die Vermutung nahe, dass diesem Sachverhalt umsatzsteuerliche Unregelmäßigkeiten zugrunde liegen. Konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen aber genauso wenig, wie die "Rolle" des Unternehmens in der vermeintlichen Betrugskette bekannt ist. Da ein strafrechtlicher Anfangsverdacht bei dieser Konstellation aus den Akten der Finanzverwaltung häufig nicht zu begründen ist, drängt sich die Durchführung einer Umsatzsteuer-Nachschau geradezu auf. Derartige Sachverhalte waren auch der Anlass zur Schaffung der Regelung (Rz. 7ff.), und hier stellen solche steuerlichen Ermittlungen grundsätzlich den richtigen Schritt zur weiteren Aufklärung dar. Allerdings – und das ist das schwierige Unterscheidungsmerkmal zwischen rechtmäßigen und rechtswidrigen Ermittlungen –, die "Grenze" zum Anfangsverdacht darf nicht überschritten sein. Bei dieser Frage geht es um die Gewichtung der vorliegenden Indizien, eine Entscheidung, die grundsätzlich den dafür ausgebildeten Beamten der Steuerfahndung oder der Bußgeld- und Strafsachenstelle überlassen werden sollte.
Rz. 102
Die geschilderten Schwierigkeiten zur Begründung eines strafrechtlichen Anfangsverdachts lassen die Umsatzsteuer-Nachschau demnach durchaus als hilfreiche Maßnahme zur Überprüfung der geschilderten Sachverhalte erscheinen. Wie oben bereits ausgeführt, können auch Steuerfahndungsprüfer eine Umsatzsteuer-Nachschau nach § 27b UStG vornehmen (Rz. 23ff.), solange denn ein strafrechtlicher Anfangsverdacht nicht vorliegt. Sollten sich dann die Vermutungen der Finanzbehörde bestätigen, wird regelmäßig noch während der Umsatzsteuer-Nachschau das Steuerstrafverfahren einzuleiten sein.
Rz. 103
Die steuerliche (Außen-) Prüfung des Sachverhalts ist mit der Einleitung des Steuerstrafverfahrens beendet, und alle weiteren Maßnahmen müssen nach den Regeln der Strafprozessordnung vorgenommen werden. Da hier ein Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss nicht vorliegen kann, müssen die strafprozessualen Maßnahmen – insbesondere die Sicherstellung der Beweismittel – dann auf die (engen) Voraussetzungen von Gefahr in Verzug gestützt werden. Das zeigt zugleich, dass der "normale" Außenprüfer mit solchen Maßnahmen regelmäßig überfordert sein wird. Zu beachten ist auch, dass in derartigen Prüfungssituationen mindestens immer zwei Prüfer am Ort sein sollten, schon damit ein Zeuge des Geschehens vorhanden ist.
Rz. 104
Im Ergebnis sind diese Grenzfälle zwischen steuerlicher und steuerstrafrechtlicher Prüfung auch mit der Umsatzsteuer-Nachschau nur z...