Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
5.1 Geltendmachung im ordentlichen Rechtsweg
Rz. 68
Der Ausgleich nach § 29 UStG ist ein zivilrechtlicher Anspruch und damit zwingend im ordentlichen Rechtsweg geltend zu machen. Eine Geltendmachung vor Finanzgerichten scheidet nach § 33 FGO aus.
Rz. 69
Da es sich um einen zivilrechtlichen Anspruch handelt, sind alle allgemeinen Grundsätze der Zivilprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes zu beachten, insbesondere in Fragen der Zuständigkeit und der Ermittlung des Streitwerts. Die danach ergangene Entscheidung hat aber für die Finanzverwaltung und damit für die Umsatzsteuerfestsetzung als solche keine Bindungswirkung.
5.2 Beweislast des Anspruchsberechtigten
Rz. 70
Der den Ausgleichsanspruch begehrende Vertragspartner hat sowohl den Anspruch dem Grunde wie auch der Höhe nach nachzuweisen. Erfahrungsgemäß werden sich hier insbesondere bei dem Nachweis über einen Ausgleichsanspruch der Höhe nach erhebliche Schwierigkeiten für den Kläger ergeben. Der Gesetzgeber hat hier im Rahmen einer Beweiserleichterung unter Hinweis auf § 287 Abs. 1 ZPO dem entscheidenden Gericht die Möglichkeit eingeräumt, unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung über die Höhe des Ausgleichsanspruchs zu entscheiden. Damit braucht der Kläger den Anspruch nicht detailliert zu beziffern, sondern das Gericht muss in der Lage sein, unter Einbeziehung aller ihm vorliegenden Erkenntnisse zu einer Schätzung der entstandenen Mehr- oder Minderbelastung zu kommen. Eine allgemeine Auskunftsverpflichtung, wie nach §§ 93ff. AO im Steuerverwaltungsverfahren, kennt das Zivilrecht nicht. Insoweit sind die Parteien nur eingeschränkt zur Auskunft verpflichtet. Insbesondere scheidet ein Auskunftsersuchen gegenüber den FÄ der Verfahrensbeteiligten wegen des Steuergeheimnisses nach § 30 AO aus.
Rz. 71
Nicht von der Beweiserleichterung betroffen ist die Frage, ob überhaupt ein Ausgleichsanspruch besteht. Der Kläger muss somit seinen Anspruch dem Grunde nach nachweisen, indem er auf die Änderungen im Umsatzsteuerrecht Bezug nimmt.
5.3 Verjährung und Verwirkung
Rz. 72
Der Anspruch auf Ausgleich einer Mehr- oder Minderbelastung bei der USt nach § 29 UStG ist ein Bestandteil des Anspruchs auf Zahlung eines Kaufpreises oder eines Entgelts für eine ausgeführte Leistung und verjährt damit nach den Regeln, die für den jeweiligen Hauptanspruch gelten. Die grundsätzliche Verjährungsfrist beträgt nach § 195 BGB drei Jahre Soweit es sich um Rechte an einem Grundstück handelt, gilt nach § 196 BGB eine Verjährungsfrist von zehn Jahren. Unter bestimmten Umständen kann sich – in Ausnahmefällen – auch eine zivilrechtliche Verjährung nach § 197 BGB von dreißig Jahren ergeben.
Rz. 73
Die reguläre Verjährungsfrist beginnt i. d. R. nach § 199 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entsteht. Fraglich ist der tatsächliche Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs nach § 29 UStG. Eine Anknüpfung an den Zeitpunkt der Entstehung der Steuer nach § 13 UStG scheidet wohl schon deshalb aus, weil der Anspruch aus § 29 UStG ein zivilrechtlicher Anspruch ist und nicht von der eher zufälligen Besteuerungsform nach vereinbarten oder vereinnahmten Entgelten abhängig sein kann. Der Anspruch auf Ausgleich der Mehr- oder Minderbelastung wird in aller Regel in Abhängigkeit von der Entstehung des Hauptanspruchs zu entscheiden sein, da der Ausgleichsanspruch ein Teil des Anspruchs auf Zahlung ist. Frühestens kann der Anspruch aber mit Inkrafttreten der Gesetzesänderung entstehen, auf die die Mehr- oder Minderbelastung zurückzuführen ist. Ist die Verjährung eingetreten, ist der Anspruch nicht erloschen. Allerdings kann der Anspruchsgegner im gerichtlichen Verfahren die Einrede der Verjährung erheben.
Rz. 74
Der Ausgleichsanspruch kann aber auch schon vor Eintritt der zivilrechtlichen Verjährung verwirkt werden, wenn der Anspruchsberechtigte durch sein Verhalten zum Ausdruck gebracht hat, dass er seinen Anspruch auf Ausgleich nicht mehr ausüben wird. Dies kann sowohl durch tatsächliches Handeln oder durch schlüssiges Verhalten des Anspruchsberechtigten erfolgen.
5.4 Billigkeitsmaßnahmen
Rz. 75
Eine niedrigere Steuerfestsetzung nach § 163 AO oder ein Erlass aus Billigkeit nach § 227 AO aus Gründen einer sachlichen Härte dürfte bei Nichtanwendung des § 29 UStG in aller Regel zu verneinen sein, wenn der Vertrag zwischen den Vertragsparteien nach deutschem Recht zu beurteilen ist, da der Gesetzgeber die Rechtsfolgen einer Änderung des UStG gerade durch die Vorschriften des § 29 UStG geregelt hat. Auch in den Fällen, in denen der leistende Unternehmer es unterlässt, von seinem Vertragspartner den möglichen Ausgleich nach § 29 UStG zu verlangen, kann eine umsatzsteuerliche Mehrbelastung nicht nach abgabenrechtlichen Vorschriften erlassen werden. Dies gilt nach einem Urteil des FG München auch dann, wenn der Unternehmer die Abwälzung der Umsatzsteuererhöhung auf die Leistungsempfänger aus technischen oder ökonomischen Gründen nicht vornehmen konnte.