Rz. 8
Das erste deutsche UStG aus dem Jahr 1918 enthielt noch keine Sonderregelung für die Umsatzsteuerbarkeit von entgeltlichen Leistungen der öffentlichen Hand. Die Ausübung öffentlich-rechtlicher Gewalt wurde als von vornherein nicht gewerblich oder beruflich und damit stets nicht steuerbar eingestuft. Ein subjektives Steuerprivileg für öffentliche Einrichtungen war daher gesetzlich nicht vorgesehen. Soweit das Reich, die Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände gewerblich tätig wurden, waren sie in Bezug auf nur wenige ausdrücklich genannte Tätigkeiten (Post-, Telegrafen- und Fernsprechverkehr, Schlachthöfe, Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerke) von der Steuer befreit. Diese Systematik wurde bis zur Umstellung auf das geltende Mehrwertsteuersystem im Wesentlichen beibehalten. Die dahinterstehende Wertung, nicht aber die Systematik, wurde in das UStG 1967 insofern übernommen, als seither Körperschaften öffentlichen Rechts – von der Grundregel des § 2 Abs. 1 UStG abweichend – nach § 2 Abs. 3 S. 1 UStG nur noch im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (BgA) nach dem KStG und ihrer land- oder forstwirtschaftlichen Betriebe als gewerblich oder beruflich tätig galten. Diese Regelung wurde im UStG 1980 für juristische Personen öffentlichen Rechts (jPöR) fortgeführt und bis zum 31.12.2015 im Wesentlichen unverändert beibehalten. Nach § 4 Abs. 1 KStG sind BgA alle Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen dienen und sich innerhalb der Gesamtbetätigung der Körperschaft wirtschaftlich herausheben. Neben dem KStG wurden auch die von Rechtsprechung und Verwaltung entwickelten Grundsätze in die Beurteilung des Vorliegens eines BgA einbezogen. Damit war die Umsatzsteuerbarkeit von jPöR insbesondere von folgenden Kriterien abhängig:
- es handelt sich um eine Einrichtung mit einer gewissen Selbstständigkeit und von einigem wirtschaftlichen Gewicht, wofür als gewichtiges Indiz Umsatzgrenzen herangezogen wurden,
- es liegt keine Vermögensverwaltung vor,
- es handelt sich nicht um einen Hoheitsbetrieb (§ 4 Abs. 5 KStG),
- es liegt keine Amtshilfe (punktuelle bzw. gelegentliche Hilfeleistung einer Behörde bei hoheitlichen Betätigungen auf Ersuchen einer anderen Behörde) vor und
- die jPöR erbringt keine sog. Beistandsleistung (entgeltliche Lieferungs- und Leistungsbeziehungen zwischen zwei Hoheitsträgern, bei denen wiederkehrend entgeltliche Leistungen aus einer Hoheitssphäre heraus an die Hoheitssphäre des anderen erbracht werden).
Rz. 9
Der umsatzsteuerlichen Beurteilung lag nach § 2 Abs. 3 UStG also keine tätigkeits-, sondern eine einrichtungsbezogene Betrachtungsweise und damit folgendes Regel-Ausnahme-Verhältnis zugrunde: grundsätzlich waren jPöR mit ihren entgeltlichen Aktivitäten nicht steuerbar; nur die im Rahmen von körperschaftsteuerlichen BgA ausgeführten Umsätze unterlagen der USt. Außerhalb von BgA erbrachte entgeltliche Leistungen waren damit auch dann, wenn sie nicht in Ausübung öffentlicher Gewalt bewirkt wurden, steuerlich privilegiert. Besondere Bedeutung hatte dies im Bereich der Vermögensverwaltung und der sog. Beistandsleistungen, die viele Formen der Kooperation öffentlicher Hände, u. a. auch die sog. interkommunalen Zusammenarbeit, umfasst.
Rz. 10
Die unionsrechtlichen Vorgaben zur Steuerbarkeit von entgeltlichen Tätigkeiten von jPöR gemäß Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL folgen dagegen einer tätigkeitsbezogenen Beurteilung und damit einem entgegengesetzten Regel-Ausnahme-Prinzip. Danach werden bei Einrichtungen öffentlichen Rechts, die nach Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL mit ihren wirtschaftlichen Tätigkeiten grundsätzlich steuerbar sind, nur solche Tätigkeiten von der Steuerbarkeit ausgenommen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, und dies auch nur dann, wenn deren Behandlung als Nichtsteuerpflichtige nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde (Rz. 2). Dies dient in erster Linie dem Schutz privater Unternehmer vor wettbewerbsverzerrender Konkurrenz durch jPöR und weniger dem Schutz der öffentlichen Hand vor Besteuerung (Rz. 5).