Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
1.1 Zweck der Regelung
Rz. 1
§ 3 Abs. 1a UStG in der heutigen Form ist Element des in der Europäischen Union umgesetzten "Bestimmungslandprinzips". Gelangt ein Gegenstand grenzüberschreitend (dauerhaft) aus einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat, soll in dem Bestimmungsland eine Umsatzsteuer entstehen. Dies ist die Fortführung des auch im Drittlandsverkehr über die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer gleichermaßen umgesetzten Prinzips. Da nach Wegfall der Warenkontrollen an den Binnenmarktgrenzen nicht mehr die Erhebung einer Umsatzsteuer im Bestimmungsland über die Einfuhrumsatzsteuer möglich war, wurde zum 1.1.1993 – als Ersatztatbestand – der innergemeinschaftliche Erwerb in § 1a UStG eingeführt. Ein innergemeinschaftlicher Erwerb setzt systematisch eine vorhergehende Lieferung voraus.
Rz. 2
Gelangt ein Gegenstand (dauerhaft) von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat, ohne dass es zu einer Lieferung kommt, wird unter den Bedingungen des § 1a Abs. 2 UStG ein innergemeinschaftlicher Erwerb gegen Entgelt fingiert. Mit diesem innergemeinschaftlichen Erwerb steht § 3 Abs. 1a UStG in einem untrennbaren systematischen Zusammenhang, indem in den Fällen des innergemeinschaftlichen Verbringens im Ausgangsmitgliedstaat (in diesem Fall in Deutschland) eine Lieferung gegen Entgelt fingiert wird. Der Vorgang des innergemeinschaftlichen Verbringens gilt danach als Lieferung gegen Entgelt, die dann unter den weiteren Voraussetzungen des § 6a UStG als innergemeinschaftliche Lieferung gilt und dann nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG zu einer steuerfreien Lieferung führen kann. Der Unternehmer gilt nach § 3 Abs. 1a S. 2 UStG als Lieferer. In jedem Fall ist dies der systematische Auslöser für den dann im Bestimmungsland der Besteuerung zu unterwerfenden innergemeinschaftlichen Erwerb nach § 1a Abs. 2 UStG.
1.2 Entwicklung der Vorschrift
Rz. 3
§ 3 Abs. 1a UStG ist mit Wirkung ab 1.1.1993 durch das Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetz
in das nationale Recht eingefügt worden. Die Regelung steht im Zusammenhang mit den zum 1.1.1993 zwingend umzusetzenden Vorschriften zum Europäischen Binnenmarkt und basiert auf der Änderungsrichtlinie 91/680/EWG aus 1991.
Rz. 4
Zum Zeitpunkt der erstmaligen Einführung zum 1.1.1993 enthielt die Vorschrift des § 3 Abs. 1a UStG zwei unterschiedliche Regelungen. Zum einen war das innergemeinschaftliche Verbringen in der auch heute noch so umgesetzten Fassung geregelt
, zum anderen wurde auch eine sonstige Leistung als Lieferung gegen Entgelt definiert, bei der im Inland aufgrund eines Werkvertrags aus vom Auftraggeber übergebenen Gegenständen ein Gegenstand anderer Funktion hergestellt wurde und dieser zur Verfügung des Auftraggebers in das übrige Gemeinschaftsgebiet gelangte. In diesem Fall galt der Auftragnehmer als Lieferer. Entsprechend dieser Fiktion galt dann im Bestimmungsland dieser Vorgang durch § 1a Abs. 2 Nr. 2 UStG a. F. als innergemeinschaftlicher Erwerb. Mit dieser Regelung zur sog. funktionsändernden Werkleistung sollte ebenfalls die Besteuerung einer solchen Leistung im Bestimmungsland sichergestellt werden.
Rz. 5
Die Fiktion der Lieferung im Rahmen einer funktionsändernden Werkleistung nach § 3 Abs. 1a Nr. 2 UStG a. F. wurde durch das Jahressteuergesetz 1996 aufgrund einer entsprechenden Anpassung der gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen mWv 1.1.1996 gestrichen und durch eine Regelung zur Bestimmung des Orts von Werkleistungen an beweglichen körperlichen Gegenständen gegenüber Unternehmern, die mit einer USt-IdNr. aus einem anderen Mitgliedstaat auftraten, ersetzt.
Rz. 6
Nachdem die Vorschrift des § 3 Abs. 1a UStG seit dem 1.1.1996 nicht weiter angepasst werden musste, erfolgt mWv 1.1.2020 eine Ergänzung um einen Satz 3 in der Vorschrift. Mit dieser Ergänzung wird klargestellt, dass eine (fiktive) Lieferung im Rahmen eines innergemeinschaftlichen Verbringens nicht vorliegt, wenn der Gegenstand i.Z.m. der ebenfalls zum 1.1.2020 eingeführten Konsignationslagerregelung nach § 6b UStG in einen anderen Mitgliedstaat gelangt. Die Ergänzung erfolgt in Umsetzung der zum 1.1.2020 in Kraft getretenen sog.""Quick Fixes".