Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
3.1 Allgemeines
Rz. 26
Nach § 3 Abs. 1a S. 1 UStG ist von der Lieferfiktion der Fall ausgenommen, in dem der Gegenstand nur zu einer vorübergehenden Verwendung in den anderen Mitgliedstaat gelangt. Die Vorschrift beruht auf Art. 17 Abs. 2 Buchst. f bis h MwStSystRL. Der nationale Gesetzgeber hat dabei den Wortlaut der unionsrechtlichen Regelung weder wörtlich noch inhaltlich vollständig übernommen. Während national nur allgemein eine vorübergehende Verwendung – ohne nähere Definition – ausgeschlossen wird, ist nach dem Unionsrecht eine Aufzählung von Einzeltabeständen vorhanden, die nicht zu einem innergemeinschaftlichen Verbringen führen. Dabei sind die nach Unionsrecht nicht steuerbaren Verbringensvorgänge nicht auf die Fälle der vorübergehenden Verwendung beschränkt. Unionsrechtlich werden – zum Teil klarstellend – auch Verbringenstatbestände aus dem Anwendungsbereich des Art. 17 MwStSystRL ausgeschlossen, bei denen der Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat gelangt und erst dort die Lieferung stattfindet (z. B. bei Anwendung der Regelungen der sog. Versandhandelslieferung nach § 3c UStG). In Deutschland soll die allgemeine nationale Regelung unionsrechtlich i. S.d Art. 17 und Art. 23 MwStSystRL ausgelegt werden. Teilweise sind die in Art. 17 Abs. 2 MwStSystRL enthaltenen Ausnahmetatbestände national den Sonderregelungen zugeordnet (z. B. wird in § 3g Abs. 3 UStG klargestellt, dass die Regelung des § 3 Abs. 1a UStG auf die Lieferung von Gas, Elektrizität, Wärme oder Kälte nicht anzuwenden ist).
Rz. 27
National setzt die Finanzverwaltung die Voraussetzungen der "vorübergehenden Verwendung" im Rahmen einer
- der Art nach vorübergehenden Verwendung und
- der befristeten Verwendung
um. Die dort aufgeführten einzelnen - abschließend bei einer der Art nach vorübergehenden Verwendung, beispielhaft bei der befristeten Verwendung – Sachverhalte entsprechen teilweise den Vorgaben nach Art. 17 Abs. 2 MwStSystRL.
3.2 Der Art nach vorübergehende Verwendung (unbefristet)
Rz. 28
Sowohl im Unionsrecht als auch national durch die Finanzverwaltung umgesetzt, werden bestimmte – abschließend aufgezählte – Sachverhalte von der Verbringensfiktion des § 3 Abs. 1a UStG ausgenommen. Bei einer solchen, der Art nach vorübergehenden Verwendung, kommt es auf die Dauer, wie lange der Gegenstand tatsächlich in einem anderen Mitgliedstaat verbleibt, nicht an.
3.2.1 Versandhandelsumsätze
Rz. 29
Führt der Unternehmer Lieferungen aus, die in den Anwendungsbereich des § 3c UStG fallen (sog. Versandhandelsregelung), verlagert sich der Ort seiner Lieferung von dem Ort, an dem die Warenbewegung beginnt, in den Bestimmungsmitgliedstaat, wo die Ware sich am Ende der Beförderung oder Versendung befindet. Der liefernde Unternehmer realisiert bei einem Verkauf eines Gegenstands an einen Nichtunternehmer in einem anderen Mitgliedstaat einen in Deutschland nicht steuerbaren Umsatz, der für ihn aber nach den entsprechenden Regelungen des Bestimmungsmitgliedstaats zu einem dort steuerbaren und steuerpflichtigen Umsatz führt. Nach der eindeutigen unionsrechtlichen Regelung des Art. 17 Abs. 2 Buchst. a MwStSystRL ist in diesem Fall kein innergemeinschaftliches Verbringen vorgeschaltet.
3.2.2 Werklieferungen in einem anderen Mitgliedstaat
Rz. 30
Führt ein deutscher Unternehmer im übrigen Gemeinschaftsgebiet eine dort steuerbare Werklieferung aus (z. B. Errichtung eines Bauwerks oder Montage einer maschinellen Anlage), unterliegen alle Gegenstände, die er zur Ausführung seiner Leistung in den Bestimmungsmitgliedstaat verbracht hat, nicht der Lieferfiktion des § 3 Abs. 1a UStG. Es kommt dabei nicht darauf an, ob es sich bei den Gegenständen um Material handelt, das bei der Ausführung der Werklieferung verwendet worden ist und damit nach Abschluss der Leistung in dem Bestimmungsmitgliedstaat verbleibt, oder ob es sich um bloße Hilfsmittel (z. B. Baumaschinen) handelt, die nach ihrem Einsatz wieder in den Ausgangsmitgliedstaat zurückverbracht werden. Sowohl das Verbringen der Hilfsmittel in den anderen Mitgliedstaat als auch das Zurückverbringen von der Baustelle in den Ausgangsmitgliedstaat führt nicht zur Anwendung der Lieferfiktion des § 3 Abs. 1a UStG oder der Erwerbsfiktion des § 1a Abs. 2 UStG. Dies wird national von der Finanzverwaltung entsprechend umgesetzt.
Werklieferung in anderem Mitgliedstaat
Bauunternehmer B aus Bayern errichtet in Österreich ein Wohnhaus. Zum Zweck der Ausführung der Bauarbeiten nimmt er aus Bayern Baumaterialien sowie auch Baumaschinen mit nach Österreich. Die Baumaterialien gehen in das Bauwerk mit ein, während die Baumaschinen nach Fertigstellung des Bauwerks wieder nach Deutschland zurückgelangen.
B führt in Österreich eine steuerbare Werklieferung aus (Ort der Leistung nach § 3 Abs. 7 S. 1 UStG, wo sich der errichtete Gegenstand im Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet). Sowohl der Transport der Baumaterialien als auch der Baumaschinen nach Österreich stellt keine Lieferung nach ...