8.1 Allgemeines
Rz. 50
Stellt der Auftraggeber dem Hersteller eines Werks einen Teil des zur Herstellung des Werks erforderlichen Stoffs (Hauptstoff oder Nebenstoff) zur Verfügung, liegt umsatzsteuerrechtlich eine Materialbeistellung vor. Der beigestellte Stoff nimmt nicht am Leistungsaustausch zwischen Auftraggeber und Hersteller und umgekehrt teil; er unterliegt somit nicht der Umsatzsteuer. Eine Unterart der Beistellung ist die Leistungsbeistellung (Beistellung menschlicher oder technischer Arbeitskraft). Die Zurverfügungstellung des gesamten zur Herstellung des Werks erforderlichen Stoffs durch den Auftraggeber (Besteller) an den Werkunternehmer ist Materialgestellung. Eine Sonderrolle spielt die sog. unechte Materialbeistellung, die unter bestimmten Voraussetzungen wie eine echte Materialbeistellung behandelt wird (Rz. 71ff.).
Eine Materialbeistellung liegt nicht vor, wenn überschüssiger Strom mithilfe eines Pumpspeicherkraftwerks gespeichert wird. Die wirtschaftliche Bedeutung des Vorgangs besteht in diesem Fall nicht in einer Materialbeistellung und auch nicht in der – widersinnigen – Stromlieferung an einen Stromerzeuger zum Verbrauch, sondern in der Speicherung überschüssiger Energie, die bei Bedarf wieder abgerufen wird.
Rz. 51
Die umsatzsteuerlichen Folgen der Materialbeistellung (Nichtbesteuerung der beigestellten Teile) haben im Wesentlichen Bedeutung für nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Auftraggeber:
- Privatpersonen,
- juristische Personen des öffentlichen Rechts,
- Unternehmer, die nur steuerfreie, zum Vorsteuerausschluss führende Umsätze ausführen,
- Kleinunternehmer i. S. v. § 19 Abs. 1 UStG,
- pauschalierende Land- und Forstwirte i. S. v. § 24 Abs. 1 UStG und
- Unternehmer, die die Durchschnittssätze der §§ 23, 23a UStG anwenden.
8.2 Echte Materialbeistellung
Rz. 52
Wenn sowohl der Werkunternehmer als auch der Auftraggeber bei der Herstellung einer Sache Hauptstoffe dazutun, führt der Werkunternehmer eine Werklieferung aus; fraglich ist in diesem Fall, was Gegenstand des umsatzsteuerlichen Leistungsaustauschs ist und wie das Entgelt zu bemessen ist. Stoffe, die der Besteller dem Unternehmer zur Herstellung des Werks beigestellt hat, sind bei einer Werklieferung nicht Gegenstand des Leistungsaustauschs. Die beigestellten Stoffe können Haupt- oder Nebenstoffe sein. Es liegt hinsichtlich der beigestellten Stoffe keine Lieferung der Stoffe durch den Besteller an den Unternehmer vor, denn dieser "erwirbt" nicht im umsatzsteuerlichen Sinn, denn er erlangt keine Verfügungsmacht i. S. d. § 3 Abs. 1 UStG. Auch umschließt die Werklieferung des Unternehmers nicht den Wert der ihm vom Besteller zur Verfügung gestellten Stoffe.
Rz. 53
Die Annahme einer echten Materialbeistellung setzt begrifflich voraus, dass der Werkunternehmer den vom Auftraggeber beigestellten Stoff mit der Maßgabe erhält, ihn auch tatsächlich bei Herstellung des Gegenstands zu verwenden. Darf der Werkunternehmer über den Stoff wie ein Eigentümer verfügen (z. B. ihn gegen einen gleichen oder ähnlichen Stoff austauschen und dann anderweitig verwenden), liegt keine Materialbeistellung vor, sondern eine Lieferung des Stoffs durch den Auftraggeber an den Werkunternehmer. Die Werklieferung des Werkunternehmers umfasst in diesem Fall auch den ausgetauschten Stoff.
Rz. 54
Erwirbt der Werkunternehmer den zu verarbeitenden Stoff durch Kaufvertrag vom Auftraggeber, kommt es für die Beurteilung der Frage, ob er tatsächlich Verfügungsmacht an den erworbenen Sachen erlangt hat, darauf an, ob er frei über sie verfügen kann.
Rz. 55
Eine Werklieferung liegt vor, wenn der Werkunternehmer einen Teil des Hauptstoffs beschafft und für den anderen, vom Auftraggeber zur Verfügung gestellten Stoff einen Kaufpreis entrichtet hat, der mit dem Gesamtpreis verrechnet wird.
Rz. 56
Kauft der Werkunternehmer notwendige Hauptstoffe zufällig beim Auftraggeber und ist es diesem gleichgültig, ob von ihm oder von einem anderen bezogene Stoffe zur Herstellung des Werks verwendet werden, liegt keine Materialbeistellung, sondern eine Lieferung der Stoffe durch den Auftraggeber an den Werkunternehmer vor. Dasselbe gilt, wenn der vom Auftraggeber zur Verfügung gestellte Stoff zur Herstellung des Werks gar nicht verwendet werden kann (z. B. weil die Maße nicht stimmen), der Werkunternehmer ihn aber (unter Abzug vom Gesamtpreis des Werks) zu anderweitiger Verwendung behält. Förmlichkeiten (z. B. die Art der Nachfrage, des Angebots, der Auftragserteilung, der Abrechnung, der Entgeltsberechnung und der Preisvereinbarung – Gesamtpreis oder Einzelpreis –) spielen bei der Beurteilung der Frage, ob eine Lieferung von Stoffen durch den Auftraggeber an den Werkunternehmer stattgefunden hat, keine ausschlaggebende Rolle, sie ...