Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
3.6.1 Allgemeines
Rz. 77
Klarstellend ist neben der allgemeinen Definition der sonstigen Leistung in § 3 Abs. 9 S. 1 UStG auch ausdrücklich in § 3 Abs. 9 S. 2 UStG aufgeführt, dass
- Unterlassen und
- Dulden (einer Handlung oder eines Zustands)
ebenfalls zu einer sonstigen Leistung führt. Mit der Feststellung, dass das Unterlassen oder Dulden einer Handlung oder eines Zustands "auch" zu einer sonstigen Leistung führen kann, wird klargestellt, dass dies nicht eine eigenständige Anspruchsgrundlage ist, sondern eine Erweiterung (Klarstellung) der Grunddefinition darstellt. Darüber hinaus kann aber auch der Verzicht (z. B. Zustimmung zu einer Vertragsauflösung) auf eine Rechtsposition zu einer sonstigen Leistung führen.
3.6.2 Unterlassen
Rz. 78
Unterlassen bedeutet Verzicht auf eigenes Tätigwerden einem anderen gegenüber. Das Unterlassen muss einen wirtschaftlichen Effekt haben. Bleibt jemand untätig, ohne dass ein anderer daraus einen wirtschaftlichen Nutzen zieht, fehlt es an einer Leistung, ganz abgesehen davon, dass eine zum Leistungsaustausch erforderliche Gegenleistung (Entgelt) nicht feststellbar sein wird. Das Unterlassen kann ein Dulden mit einschließen.
Rz. 79
Ein typischer Bereich für ein Unterlassen einer Handlung ist das Eingehen eines entgeltlichen Wettbewerbsverbots. Während der BFH noch zum UStG 1951 entschieden hatte, dass ein GmbH-Geschäftsführer und Gesellschafter, der sich im Zusammenhang mit dem Verkauf der Anteile gegen besondere Vergütung verpflichtet hatte, auf Dauer von 10 Jahren des Wettbewerbs zu enthalten, keine nachhaltige Tätigkeit ausführt, gab er dies in Auslegung der 6. EG-RL zum UStG 1991 wieder auf. Da in den Katalogfällen (jetzt) des § 3a Abs. 4 S. 2 Nr. 9 UStG eine Ortsbestimmung für den Verzicht, ganz oder teilweise eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit auszuüben, enthalten ist, kommt der BFH zu einer nachhaltigen unternehmerischen Betätigung, wenn ein Steuerpflichtiger sich für 5 Jahre verpflichtet, entgeltlich den Wettbewerb zu unterlassen. Ebenso ist der Verzicht auf die Ausübung des Amtes als Testamentsvollstrecker gegen "Entschädigung bzw. Schadensersatz" eine sonstige Leistung.
Zur Zustimmung zur vorzeitigen Auflösung eines Beratungs- oder Mietvertrags vgl. Rz. 11. Die nach Kündigung eines Architektenvertrags zu zahlende Vergütung führt nur insoweit zu einem steuerbaren Umsatz, als sie auf schon erbrachte Leistungsteile entfällt.
Rz. 80
Regelmäßig wird sich die Frage, ob eine sonstige Leistung durch ein Unterlassen i. S. d. § 3 Abs. 9 S. 2 UStG ausgeführt wird, nicht davon trennen lassen, ob damit ein Leistungsaustausch begründet wird, also eine bestimmbare Gegenleistung für die Unterlassung erwartet wird. Insoweit kommt der Abgrenzung der entgeltlichen Gegenleistung zum Zuschuss eine Bedeutung zu. So hat der BFH entschieden, dass die Brachlegung von Ackerflächen keine umsatzsteuerbare Leistung darstellt, da es an einer erwartbaren Gegenleistung mangelte und der Landwirt nur einen nicht steuerbaren Zuschuss erhielt. Mit diesem Urteil wurde auch die dem entgegenstehende frühere Rechtsprechung des BFH aufgehoben, nach der Vergütungen für die Aufgabe der Milcherzeugung zu steuerbaren Einnahmen führen. Die Aufgabe dieser Rechtsprechung entsprach insoweit auch den Vorgaben aus der Rechtsprechung des EuGH, der entschieden hatte, dass die Verpflichtung zur Aufgabe der Milcherzeugung, die ein Landwirt zum Erhalt einer öffentlichen Vergütung eingeht, keine sonstige Leistung darstellt. Bestätigt wurde dies 1997 durch die Entscheidung des EuGH, dass die Verminderung der landwirtschaftlichen Kartoffelproduktion gegen eine öffentliche Vergütung keine sonstige Leistung ist.
Rz. 81
Eine sonstige Leistung, die in einem Unterlassen besteht, ist nicht deshalb steuerfrei, weil die Ausübung der zu unterlassenden Tätigkeit steuerfrei wäre; denn das Unterlassen ist eine eigene Leistung und nicht die Fortführung der eigentlich unterlassenen Leistung.
3.6.3 Dulden
Rz. 82
Dulden bedeutet Hinnahme fremden Tätigwerdens, es wird einem Dritten eine Nutzung eines Gegenstands oder eines Rechts eingeräumt, was ihm ansonsten rechtlich nicht zustehen würde. Das Dulden steht in unmittelbarer Beziehung zum positiven Handeln eines anderen. Typische Fälle des Duldens sind: Verpachtung, Vermietung, Bestellung von Nutzungsrechten (z. B. Bestellung eines Nießbrauchsrechts an einem Grundstück) oder die Einräumung von Verwertungsrechten.