Leitsatz
Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Art. 12 EG-Vertrag (i.d.F. des Vertrags von Amsterdam) – EGV – dahingehend auszulegen, dass er § 1a Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG entgegensteht, wonach ein in Deutschland ansässiger Steuerpflichtiger Unterhaltsleistungen an seine in Österreich wohnende geschiedene Ehefrau nicht abziehen kann, während er dazu berechtigt wäre, wenn sie noch in Deutschland ansässig wäre?
2. Für den Fall, dass Frage 1 verneint wird: Ist Art. 18 Abs. 1 EGV dahingehend auszulegen, dass er § 1a Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG entgegensteht, wonach ein in Deutschland ansässiger Steuerpflichtiger Unterhaltsleistungen an seine in Österreich wohnende geschiedene Ehefrau nicht abziehen kann, während er dazu berechtigt wäre, wenn sie noch in Deutschland ansässig wäre?
Normenkette
Art. 12 EGV , Art. 18 Abs. 1 EGV , Art. 234 EGV , § 1a Abs. 1 Nr. 1 EStG , § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG
Sachverhalt
Der Kläger, der seit 1990 geschieden ist, machte bei den Veranlagungen zur Einkommensteuer 1994 bis 1997 Unterhaltszahlungen an seine in Österreich lebende frühere Ehefrau im Rahmen des sog. Realsplittings als Sonderausgaben geltend. Das FA versagte den Abzug, weil die Besteuerung der Unterhaltszahlungen bei der früheren Ehefrau nicht durch eine Bescheinigung der österreichischen Steuerbehörden nachgewiesen wurde. Das FG wies die Klage ab.
Entscheidung
Der BFH setzte das Revisionsverfahren aus und legte dem EuGH die in den Leitsätzen formulierten Fragen zur Vorabentscheidung vor.
Hinweis
1. Der Sonderausgabenabzug von Unterhaltsleistungen im Rahmen des Realsplitting nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG setzt u.a. voraus, dass der Unterhaltsempfänger unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist. Bei diesem können dann nach dem sog. Korrespondenzprinzip die beim Unterhaltsleistenden abgezogenen Beträge als steuerbare Einkünfte nach § 22 Nr. 1a EStG erfasst und besteuert werden.
§ 1a Abs. 1 Nr. 1 EStG lässt den Sonderausgabenabzug von Unterhaltsleistungen an den geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden Ehegatten auch dann zu, wenn der Unterhaltsempfänger nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist, jedoch seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem der Mitgliedstaaten der EU hat. Weitere Voraussetzung ist allerdings, dass die Besteuerung der Unterhaltszahlungen beim Empfänger durch eine Bescheinigung der zuständigen ausländischen Steuerbehörde nachgewiesen wird.
Diesen Nachweis konnte der Kläger hier naturgemäß nicht führen, weil nach österreichischem Recht Unterhaltszahlungen nicht besteuert werden; auch der Abzug von Unterhaltsleistungen ist nicht vorgesehen. Damit wird dem Kläger der Sonderausgabenabzug deshalb versagt, weil seine frühere Ehefrau nicht in Deutschland, sondern in Österreich wohnt. Das wirft die Frage nach der Vereinbarkeit der für diese Rechtsfolge verantwortlichen nationalen Vorschrift mit EG-Recht auf.
2. Für den BFH erscheint es in erster Linie nicht eindeutig, wie § 1a Abs. 1 Nr. 1 EStG im Hinblick auf das in Art. 12 EGV verankerte Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit auszulegen ist. Hier könnte eine sog. versteckte (indirekte) Diskriminierung gegeben sein, weil die Abziehbarkeit der Unterhaltsleistungen nicht an die Staatsangehörigkeit anknüpft, sondern durch die Wohnsitznahme der früheren Ehefrau in Österreich verhindert wird.
Fraglich ist allerdings, ob es sich hier nicht um eine reine Inländerdiskriminierung handelt, die vom EGV nicht erfasst wird, da dieser lediglich das Gebot der Gleichbehandlung von Inländern und Ausländern statuiert.
Problematisch ist ferner, ob die hier vorliegende Ungleichbehandlung nicht aufgrund des Kohärenzprinzips – also des Systemzusammenhangs steuertatbestandlicher Normen – gerechtfertigt ist. Hier: Abzug der Zahlungen auf der einen Seite nur bei Versteuerung der Zahlungen auf der anderen Seite. Bisher hat der EuGH eine Kohärenz als Rechtfertigungsgrund für eine steuerliche Benachteiligung allerdings nur anerkannt, wenn es sich um ein und denselben Steuerpflichtigen handelt. Beim Realsplitting findet hingegen eine Verteilung des Einkommens von einer Person auf eine andere Person statt.
3. Die zweite Auslegungsfrage ergibt sich im Hinblick auf Art. 18 EGV, der die Freizügigkeit im Allgemeinen garantiert. Ein Verstoß gegen dieses Prinzip könnte darin gesehen werden, dass einem Steuerpflichtigen eine steuerliche Abzugsmöglichkeit deshalb versagt wird, weil dessen geschiedene Ehefrau ihr Recht auf Freizügigkeit wahrnimmt.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 22.7.2003, XI R 5/02