Rz. 50

Verlegt eine ausländische Kapitalgesellschaft ihre Geschäftsleitung (§ 12 AO) aus einem Drittstaat ins Inland, führt dies nach dem deutschen internationalen Privatrecht dazu, dass diese Gesellschaft im Inland aufgrund der hier geltenden Sitztheorie nicht rechtsfähig ist.[1] Bei einem Zuzug aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums findet hingegen die Gründungstheorie Anwendung. Für die Rechtsfähigkeit kommt es bei der Gründungstheorie darauf an, ob die Gesellschaft in einem anderen Vertragsstaat wirksam gegründet wurde.[2] Die komplexe und umstrittene Verlegung des Sitzes (§ 11 AO) aus dem Inland in das Ausland soll an dieser Stelle nicht behandelt werden.[3]

Für das Entstehen einer unbeschränkten Steuerpflicht im Inland ist eine fehlende Rechtsfähigkeit unbeachtlich.[4] Entscheidend ist, ob die ausländische Gesellschaft nach den Strukturmerkmalen des Rechtstypenvergleichs mit einer Kapitalgesellschaft vergleichbar ist.[5]

 

Rz. 51

Mit dem Beginn der unbeschränkten Steuerpflicht ist eine steuerliche Eröffnungsbilanz zu erstellen. Die Buchführungspflicht für eine solche Gesellschaft ergibt sich aus § 140 AO.[6] Die Begründung des deutschen Besteuerungsrechts wird der Einlage gleichgestellt (§ 4 Abs. 1 Satz 8 EStG i. V. m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG). Es ist zum gemeinen Wert zu bewerten (§ 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG).[7] Das bedeutet, dass die im Ausland vor dem Zuzug generierten stillen Reserven das deutsche Steuersubstrat nicht erhöhen.

 

Rz. 52

Verfügte die ausländische Gesellschaft vor ihrem Zuzug ins Inland über eine inländische Betriebstätte (§ 12 AO), war sie vor dem Zuzug in Deutschland beschränkt steuerpflichtig (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 lit. a EStG i. V. m. § 2 Abs. 1 KStG). Fraglich ist, ob es durch den Zuzug zu einer Realisierung der stillen Reserven der inländischen Betriebstätte kommt, die dort vor dem Zuzug gebildet wurden.

Gilt die ausländische Gesellschaft durch den Zuzug als aufgelöst, fallen die Wirtschaftsgüter den Anteilseignern an. Dadurch entfällt das deutsche Besteuerungsrecht an den stillen Reserven auf Ebene der aufgelösten ausländischen Gesellschaft, auch wenn der Betrieb von einer neuen Gesellschaft fortgeführt wird.[8] Demnach sind die in der inländischen Betriebstätte gebildeten stillen Reserven nach § 12 Abs. 1 KStG in Deutschland beim Zuzug zu versteuern.

Erfolgt der Zuzug der ausländischen Gesellschaft identitätswahrend, fehlt es an einem Ausschluss oder einer Beschränkung des Besteuerungsrechts. § 12 Abs. 1 KStG ist demnach nicht anwendbar. Ebenso ergibt sich aus der Regelung der §§ 4 Abs. 1 Satz 8, 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG – dass die Begründung des Besteuerungsrechts einer Einlage zum gemeinen Wert gleichsteht – im Umkehrschluss, dass bei bereits bestehendem Besteuerungsrecht die Buchwerte fortgeführt und die stillen Reserven nicht aufgedeckt werden.[9]

[1] Vgl. BGH, Urteil v. 27.10.2008, II ZR 158/06. Vgl. für den Fall des Zuzugs einer US-Gesellschaft, bei dem aufgrund des Freundschaftsvertrags mit den USA ebenfalls die Gründungstheorie Anwendung findet BGH, Urteil v. 13.10.2004, I ZR 245/01.
[2] Vgl. BGH, Urteil v. 14.3.2005, II ZR 5/03. Für den damit verbundenen und bislang ungelösten Streitpunkt, ob dies nur gilt, wenn der Wegzugsstaat die Gründungstheorie anwendet, vgl. Münch, in Dötsch/Pung/Köhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 1 Rz. 79, Stand: 10/2018.
[3] Vgl. dazu Münch, in Dötsch/Pung/Köhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 1 Rz. 78, Stand: 10/2018; Kalbfleisch, in Bott/Walter, Körperschaftsteuergesetz, § 1 Rz. 53.1., Stand: 2/2011.
[6] Vgl. dazu, dass auch eine ausländische Buchführungspflicht zu einer derivativen Buchführungspflicht in Deutschland nach § 140 AO führt BFH, Urteil v. 14.11.2018, I R 81/16, BStBl 2019 II S. 390.
[7] Vgl. Musil, in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG KStG Kommentar, § 4 Rz. 323, Stand: 12/2019; Eckstein, in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG KStG Kommentar, § 6 Rz. 900, Stand: 9/2015.

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Finance Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?