Prof. Dr. Mark Knüppel, Thomas Schwalm
Rz. 50
Verlegt eine ausländische Kapitalgesellschaft ihre Geschäftsleitung (§ 12 AO) aus einem Drittstaat ins Inland, führt dies nach dem deutschen internationalen Privatrecht dazu, dass diese Gesellschaft im Inland aufgrund der hier geltenden Sitztheorie nicht rechtsfähig ist. Bei einem Zuzug aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums findet hingegen die Gründungstheorie Anwendung. Für die Rechtsfähigkeit kommt es bei der Gründungstheorie darauf an, ob die Gesellschaft in einem anderen Vertragsstaat wirksam gegründet wurde. Die komplexe und umstrittene Verlegung des Sitzes (§ 11 AO) aus dem Inland in das Ausland soll an dieser Stelle nicht behandelt werden.
Für das Entstehen einer unbeschränkten Steuerpflicht im Inland ist eine fehlende Rechtsfähigkeit unbeachtlich. Entscheidend ist, ob die ausländische Gesellschaft nach den Strukturmerkmalen des Rechtstypenvergleichs mit einer Kapitalgesellschaft vergleichbar ist.
Rz. 51
Mit dem Beginn der unbeschränkten Steuerpflicht ist eine steuerliche Eröffnungsbilanz zu erstellen. Die Buchführungspflicht für eine solche Gesellschaft ergibt sich aus § 140 AO. Die Begründung des deutschen Besteuerungsrechts wird der Einlage gleichgestellt (§ 4 Abs. 1 Satz 8 EStG i. V. m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG). Es ist zum gemeinen Wert zu bewerten (§ 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG). Das bedeutet, dass die im Ausland vor dem Zuzug generierten stillen Reserven das deutsche Steuersubstrat nicht erhöhen.
Rz. 52
Verfügte die ausländische Gesellschaft vor ihrem Zuzug ins Inland über eine inländische Betriebstätte (§ 12 AO), war sie vor dem Zuzug in Deutschland beschränkt steuerpflichtig (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 lit. a EStG i. V. m. § 2 Abs. 1 KStG). Fraglich ist, ob es durch den Zuzug zu einer Realisierung der stillen Reserven der inländischen Betriebstätte kommt, die dort vor dem Zuzug gebildet wurden.
Gilt die ausländische Gesellschaft durch den Zuzug als aufgelöst, fallen die Wirtschaftsgüter den Anteilseignern an. Dadurch entfällt das deutsche Besteuerungsrecht an den stillen Reserven auf Ebene der aufgelösten ausländischen Gesellschaft, auch wenn der Betrieb von einer neuen Gesellschaft fortgeführt wird. Demnach sind die in der inländischen Betriebstätte gebildeten stillen Reserven nach § 12 Abs. 1 KStG in Deutschland beim Zuzug zu versteuern.
Erfolgt der Zuzug der ausländischen Gesellschaft identitätswahrend, fehlt es an einem Ausschluss oder einer Beschränkung des Besteuerungsrechts. § 12 Abs. 1 KStG ist demnach nicht anwendbar. Ebenso ergibt sich aus der Regelung der §§ 4 Abs. 1 Satz 8, 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG – dass die Begründung des Besteuerungsrechts einer Einlage zum gemeinen Wert gleichsteht – im Umkehrschluss, dass bei bereits bestehendem Besteuerungsrecht die Buchwerte fortgeführt und die stillen Reserven nicht aufgedeckt werden.
Rz. 52a
Fällt eine Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschlands (Verstärken) hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsgutes weg (beispielsweise ein Wirtschaftsgut wird aus einer ausländischen Anrechnungsbetriebsstätte in das inländische Stammhaus überführt) und unterliegt die Überführung in dem ausländischen Staat einer Entstrickungsbesteuerung, gilt dies auf Antrag als Veräußerung und Anschaffung des Wirtschaftsgutes, § 12 Abs. 1 Satz 3 KStG. Als Veräußerungspreis und gleichzeitlig als Anschaffungskosten ist der Wert anzusetzen, den der ausländische Staat der Entstrickungsbesteuerung zugrunde gelegt hat, höchstens aber der gemeine Wert.
Die ausländischen Steuern können unter der Maßgabe des § 26 KStG i. V. m. § 34c EStG angerechnet werden. Können die ausländischen Steuern vollständig angerechnet werden, er gibt sich in Deutschland keine zusätzliche Ertragsteuerbelastung. Durch den höheren Wertansatz in der Steuerbilanz ergibt sich in Deutschland zusätzliches Abschreibungspotenzial. Die Vorschrift entspricht der Regelung des § 4 Abs. 1 Satz 3 2. Halbsatz i. V. m. § 4 Abs. 1 Satz 9 EStG.
§ 12 Abs. 1 Satz 3 KStG gilt nur für Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens einer Körperschaft. Weil Art. 5 Abs. 5 ATAD aber nicht zwischen den Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens und denen der außerbetrieblichen Sphäre unterscheidet, gelten die Regelungen des § 4 Abs. 1 Satz 3 2. Halbsatz, Satz 8 2. Halbsatz, Satz 9 und 10 EStG gemäß § 12 Abs. 1a KStG entsprechend.