Daniel Käshammer, Dr. Andreas Bolik
2.7.1 Kein Ansatz fiktiver Aufschlagsätze
Für die Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte wurde mit § 1 Abs. 5 AStG der sog. Authorised OECD Approach (AOA), welcher eine Selbstständigkeitsfiktion von Betriebsstätten vorsieht, in nationales Recht umgesetzt. Danach ist für Transaktionen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte grundsätzlich der Fremdvergleichsgrundsatz maßgebend. Konkretisiert wird die Norm des § 1 Abs. 5 AStG durch die Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV). In Fällen von Bau- und Montagebetriebsstätten gilt gemäß § 32 BsGaV die Mitwirkung der Betriebsstätte an dem Bau- und Montagevertrag widerlegbar als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung. Diese soll als Dienstleistung der Bau- und Montagebetriebstätte gegenüber dem Stammhaus anzusehen sein und regelmäßig nach einer kostenorientieren Verrechnungspreismethode vergütet werden.
Sowohl das FG Nürnberg als auch das FG München entschieden, dass in den zugrundeliegenden Sachverhalten zwischen Stammhaus und Betriebsstätte kein Ansatz fiktiver Aufschlagsätze zu erfolgen hat, sondern lediglich Kosten erstattet werden sollten (FG Nürnberg, Urteil v. 27.9.2022, 1 K 1595/20 und FG München, Urteil v. 10.07.2023, 7 K 1938/22). Für das Vorliegen einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung i.S. des § 1 Abs. 5 AStG (ein sog. "Dealing") lagen keine Anhaltspunkte vor. Im Gegensatz zum Urteil des Nürnberger FG fällt die Begründung des FG München umfangreicher aus. Zudem stellt das FG München klar, dass es sich bei der Norm des § 1 Abs. 5 AStG nicht um eine Betriebsstättengewinnermittlungsvorschrift, sondern um eine Korrekturnorm handelt. Daher ist § 1 Abs. 5 AStG – mangels Einkünfteermittlungscharakter der Norm – für die Zuordnung von Erträgen und Aufwendungen aus Außentransaktionen bedeutungslos.
Das Urteil des FG Nürnberg ist unter dem Az. I R 45/22 und das Urteil des FG München ist unter dem Az. I R 49/23 beim BFH anhängig. Der BFH wird sich insbesondere zum Verhältnis von § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. § 1 Abs. 5 BsGaV und den allgemeinen Gewinnermittlungsregelungen im deutschen Steuerrecht äußern müssen. In vergleichbaren Fällen sollten Steuerpflichtige prüfen, die Verfahren offenzuhalten.
2.7.2 Neue Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise
Mit BMF-Schreiben v. 6.6.2023 hat das BMF seine Grundsätze der Einkünftekorrektur gemäß § 1 AStG sowie zur Anwendung des internationalen Fremdvergleichsgrundsatzes überarbeitet (Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise 2023; VWG VP 2023). Neu aufgenommen wurden Ausführungen zu der kürzlich neu gefassten Funktionsverlagerungsverordnung (FVerlV).
Nachdem die FVerlV an das AbzStEntModG (BGBl 2021 I S. 1259) angepasst und neu gefasst wurde (u.a. Konkretisierung der Bestimmungen zur Funktionsverlagerung und Überführung in einen neuen § 1 Abs. 3b AStG sowie gesetzliche Definition des Transferpakets), folgte nun die Einarbeitung der FVerlV in die VWG VP (Kapitel III, Unterkapitel I). In diesem Teil äußert sich das BMF insbesondere zur Bestimmung und Verlagerung einer Funktion, zum Transferpaket und zur Wertermittlung. Ergänzend sind dem Schreiben in einer weiteren Anlage erläuternde Beispiele zur FVerlV beigefügt.
In Bezug auf die Finanzierungsbeziehungen (Kapitel III, Unterkapitel J) wurde die BFH-Rechtsprechung zur Bestimmung fremdüblicher Darlehenszinsen auf Konzerndarlehen (Urteile v. 18.5.2021, I R 4/17, BStBl 2023 II S. 678 und v. 13.1.2022, I R 15/21, BStBl 2023 II S. 675) in das BMF-Schreiben übernommen.
Die neuen VWG VP sind grundsätzlich auf alle offenen Fälle und damit rückwirkend anzuwenden. Die in Kapitel I enthaltenen Aussagen zur Funktionsverlagerung sind dagegen im Einklang mit der zum 1.1.2022 neu gefassten FVerlV auf Funktionsverlagerungen anzuwenden, die nach dem 31.12.2021 verwirklicht werden. Mit der Veröffentlichung der VWG VP 2023 im BStBl wird die vorherige Fassung v. 14.7.2021 (BStBl 2021 I S. 1098) sowie der Nichtanwendungserlass v. 30.3.2016 zu den BFH-Urteilen I R 23/13 und I R 29/14 aufgehoben.
2.7.3 Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung
Im Jahr 2021 hat der Gesetzgeber mit dem AbzStEntModG v. 2.6.2021 (BGBl 2021 I S. 1259) mit Wirkung zum 1.1.2022 die bisherige Vorschrift zur Funktionsverlagerung im neuen § 1 Abs. 3b AStG verankert und erstmalig das Transferpaket legal definiert. Wurde zuvor darauf abgestellt, dass Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile verlagert werden, ist laut der Neuregelung nur noch erforderlich, dass Wirtschaftsgüter oder sonstige Vorteile verlagert werden. In Reaktion auf die Gesetzesänderung wurde zudem die Funktionsverlagerungsverordnung zum 1.1.2022 neu gefasst und in den VWG VP 2023 die Verwaltungssicht angepasst (vgl. vorherige Tz. 2.7.2).
Erstmals hat sich das Niedersächsische FG dezidiert zu den Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung nach der im Streitjahr geltenden Fassung des § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG a.F. geäußert (Urteil v. 16.3.2023, 10 K 310/19). Streitig war, ob die Verlagerung einer Produktionsfunktion in Folge der Schließung einer Produktionsstätte eine Funktionsverlagerung darstellt und ein Entgelt zu entrichten gewesen wäre (Transferpaket). Das FG setzt sich i...