Leitsatz
1. Die Bereitstellung von Kureinrichtungen gegen Kurtaxe ist ein steuerbarer Umsatz gegen Entgelt, wenn die Kureinrichtungen nicht für jedermann frei und unentgeltlich zugänglich sind (Bestätigung der Rechtsprechung, Abgrenzung zum Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union Gemeinde A vom 13.07.2023 – C 344/22, EU:C:2023:580 und zum Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 18.10.2023 – XI R 21/23, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt).
2. Falls eine Kurgemeinde bei der Bereitstellung von Kureinrichtungen gegen Kurtaxe auf öffentlich-rechtlicher Grundlage handelt, ist sie nur dann als Unternehmerin tätig, wenn ihre Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde (vgl. BFH-Beschluss vom 15.12.2021 – XI R 30/19, BFHE 275, 414, BStBl II 2022, 577, Rz 37 ff.).
3. Eine Gemeinde unterhält umsatzsteuerrechtlich nur ein einziges Unternehmen, so dass in dem gegenüber der Gemeinde zu erlassenden Umsatzsteuerbescheid alle wirtschaftlichen Tätigkeiten der Gemeinde zu erfassen sind; dazu gehören zum Beispiel auch Umsätze im Bereich der Vermögensverwaltung oder steuerpflichtige Beistandsleistungen.
Normenkette
§ 2 Abs. 1 und 3, § 2b, § 15 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 UStG, Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 9, Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2, Art. 168 Buchst. a, Art. 174 Abs. 1, Art. 175 Abs. 2 Unterabs. 2 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), § 122 Abs. 1 AO
Sachverhalt
Die Beteiligten streiten darüber, inwieweit USt, die die klagende Gemeinde für Fremdenverkehrswerbung gezahlt hat, als Vorsteuer abziehbar ist.
Die Klägerin, eine auf einer Insel gelegene Gemeinde mit eigenen Strandabschnitten, unterhält einen BgA Kurverwaltung. Zur Finanzierung der Tätigkeit erhebt die Klägerin eine Kurtaxe sowie eine weitere Abgabe (Fremdenverkehrsabgabe beziehungsweise Tourismusabgabe). Weitere Einnahmen erzielt der Kurbetrieb u.a. aus der Kurtaxe, den Parkplatzgebühren, der Strandkorbvermietung, den Hafen- und Kaigebühren, dem Gastgeberverzeichnis und durch Veranstaltungen. Der Kurbetrieb erzielt aus seiner Tätigkeit Gewinne.
Die Klägerin bezog in den Streitjahren (2011 bis 2015) Eingangsleistungen für Fremdenverkehrswerbung. Das FA vertrat nach einer Außenprüfung die Auffassung, ein Teil der Kosten für die Fremdenverkehrswerbung entfalle auf nichtwirtschaftliche Tätigkeiten der Klägerin, da von der Werbung auch die Gemeinde als solche profitiere. Inhaltsadressatin der erlassenen USt-Bescheide ist die "Kurverwaltung … [Name der Klägerin]". Mit Einspruchsentscheidung vom 8.8.2018 wies das FA den Einspruch der "Klägerin Kurverwaltung" als unbegründet zurück. Es nahm an, die Vorsteuerkürzung entsprechend § 15 Abs. 4 UStG sei rechtmäßig.
Das FG (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 29.9.2021, 4 K 118/18, Haufe-Index 14901020) gab der Klage statt. Die Werbeleistungen seien in vollem Umfang für das Unternehmen des Kurbetriebs bezogen worden. Der Kurbetrieb sei unternehmerisch tätig, weil er wettbewerbs- und profitorientiert arbeite und seine Leistungen gegen Entgelt erbringe. Die Klägerin sei deshalb zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt, soweit sie die Werbeleistungen ausschließlich für wirtschaftliche Tätigkeiten des Kurbetriebs verwendet habe. Eine Vorsteuerkürzung gemäß § 15 Abs. 4 UStG sei nicht gerechtfertigt. Eine Saldierung mit weiteren Umsatzsteueransprüchen des FA aus der Überlassung des Abgabenaufkommens an den Kurbetrieb sei ebenfalls nicht vorzunehmen.
Nach Ergehen des EuGH-Urteils Gemeinde A vom 13.7.2023, C-344/22, (EU:C:2023:580, Haufe-Index 15765193) hat das FA vorgetragen, lediglich der Anteil des Kurbeitrags, der auf die tatsächliche Benutzung von Kur- und Erholungseinrichtungen entfalle, stelle nach der Rechtsprechung des EuGH ein Entgelt dar. Nur für hiermit zusammenhängende Eingangsleistungen sei ein Vorsteuerabzug denkbar.
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies den Rechtsstreit an das FG zurück.
Hinweis
1. Der BFH grenzt mit dem Besprechungsurteil die möglichen Fallgruppen bei der Besteuerung von Kurgemeinden voneinander ab: Stellt ein Kurort den Übernachtungs- und Tagesgästen Kureinrichtungen nur gegen Zahlung einer Kurtaxe zur Verfügung, führt die Gemeinde Leistungen gegen Entgelt aus. Stellt sie die Kureinrichtungen hingegen jedermann frei und unentgeltlich zur Verfügung, handelt sie nichtunternehmerisch (BFH, Urteil vom 18.10.2023, XI R 21/23, BFH/NV 2024, 609). Nichtunternehmerisch ist außerdem die kostenlose Überlassung von Kureinrichtungen an Einwohner (durch Ausgabe von Einwohnerkarten).
2. Eine Kurgemeinde, die mit dem Kurbetrieb Leistungen gegen Entgelt ausführt, handelt nur dann als Steuerpflichtige bzw. Unternehmerin, wenn ihre Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Der BFH bestätigt insoweit im Besprechungsurteil einen möglichen Wettbewerb, wenn Nachbargemeinden als Wettbewerber vorhanden sind. Der BFH wendet damit die Grundsätze des EuGH-Urteils Isle of Wight Council u.a. vom 16.9.2008, C-288/07 (EU:C:2008:505, BFH/NV 20...