Leitsatz
1. Eine Krankheit i.S. des § 3 Nr. 5 KraftStG ist bei einem anomalen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand anzunehmen, der nach herrschender Auffassung einer medizinischen Behandlung bedarf. Die Behandlungsbedürftigkeit schließt eine gewisse Dringlichkeit der Beförderung ein; das Vorliegen eines dringenden Soforteinsatzes ist jedoch nicht erforderlich (Anschluss an BFH-Urteile vom 13.09.2018 – III R 10/18, BFHE 262, 532, Rz 12, und vom 10.06.2019 – III R 47/18, BFHE 265, 466, Rz 14 f.).
2. Eine nach § 3 Nr. 5 KraftStG steuerbefreite Krankenbeförderung setzt keine fachgerechte Betreuung während der Fahrt voraus.
3. Liegt der Beförderung einer Person eine ärztliche Verordnung zugrunde, so ist der Nachweis erbracht, dass die Beförderung eines Erkrankten im Zusammenhang mit einer medizinischen Behandlung erfolgt.
Normenkette
§ 3 Nr. 5, § 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG, § 96 Abs. 1 Satz 1, § 107 Abs. 1 FGO, § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V, § 3, § 4, § 6, § 7, § 8 KrTRL
Sachverhalt
Ein Unternehmen beförderte mit entsprechend ausgerüsteten und äußerlich erkennbar dafür eingesetzten Fahrzeugen aufgrund ärztlicher Verordnungen Fahrgäste zu Dialysebehandlungen, Strahlen- und Chemotherapien oder Rehabilitationseinrichtungen. Das Unternehmen machte geltend, ihm stehe für diese Fahrzeuge eine KraftSt-Befreiung wegen der ausschließlichen Verwendung zur Krankenbeförderung zu. Das HZA hielt die Voraussetzungen nicht für erfüllt, denn die Befreiung setze das Vorliegen dringender Soforteinsätze voraus, bei denen unmittelbare Gefahr für Leib und Leben bestehe und die eine fachgerechte Betreuung erfordere. Zumindest auf den Rückfahrten von Dialysebehandlungen oder Krankenhausaufenthalten seien die Fahrgäste außerdem nicht mehr krank gewesen.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.9.2019, 8 K 8016/17, Haufe-Index 14464013).
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des HZA zurück. Die Steuerbefreiung erfordere nur einen Zusammenhang aller Fahrten mit einer medizinischen Behandlung der beförderten Personen. Weder seien ein dringender Soforteinsatz noch eine fachgerechte Betreuung während der Fahrt erforderlich. Das Unternehmen habe für jede Fahrt eine ärztliche Verordnung vorgelegt und damit den Zusammenhang aller Fahrten mit einer medizinischen Behandlung nachgewiesen.
Hinweis
1. Das Urteil betrifft die KraftSt-Befreiung von zu Krankenfahrten eingesetzten Kraftfahrzeugen nichtöffentlicher Halter. Nach § 3 Nr. 5 KraftStG ist das Halten solcher Fahrzeuge steuerbefreit, solange sie ausschließlich zur Krankenbeförderung verwendet werden. Das Fahrzeug muss äußerlich als für diesen Zweck bestimmt erkennbar und nach Bauart und Einrichtung dem Zweck angepasst sein.
2. Streitig war im Urteilsfall die Frage, wann ein Fahrzeug ausschließlich zur Krankenbeförderung verwendet wird. Bereits mit zwei Urteilen aus den Jahren 2018 und 2019 hatte der BFH entschieden, dass ein dringender Soforteinsatz nicht zu verlangen sei (BFH, Urteil vom 13.9.2018, III R 10/18, BFH/NV 2019, 352, BFH/PR 2019, 117, und BFH, Urteil vom 10.6.2019, III R 47/18, BFH/NV 2019, 1448, BFH/PR 2020, 33). Diese von der Verwaltung bisher nicht akzeptierte Rechtsauffassung wird mit der hiesigen Entscheidung bestätigt.
Allerdings muss die Beförderung in einem Zusammenhang mit einer medizinischen Behandlung der betreffenden Person stehen. Dabei reicht es entgegen der Auffassung der Verwaltung aus, wenn die Behandlung am Beförderungsziel erfolgt. Eine medizinische Betreuung während der Fahrt ist nicht erforderlich.
3. Die Feststellungen dazu, ob die Voraussetzungen der Steuerbefreiung vorliegen, hat die Verwaltung, im Fall eines Rechtsstreits das Gericht zu treffen. Dabei kommt jedes Beweismittel in Betracht. Eine ärztliche Verordnung ist nicht zwingend erforderlich. Liegt eine ärztliche Verordnung aber vor, erbringt sie vollen Beweis für den Zusammenhang der Fahrt mit einer medizinischen Behandlung, es sei denn, die Verwaltung beweist ihrerseits, dass die Bescheinigung missbräuchlich ausgestellt wurde.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 17.12.2020 – IV R 41/19