Leitsatz
1. Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2010/88/EU des Rates vom 7. Dezember 2010 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er es nicht verwehrt, dem Verkäufer unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens den Anspruch auf Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung zu versagen, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass der Verkäufer seinen Nachweispflichten nicht nachgekommen ist oder dass er wusste oder hätte wissen müssen, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers verknüpft war, und er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um seine eigene Beteiligung an dieser Steuerhinterziehung zu verhindern.
2. Dem Verkäufer kann die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Sinne von Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 nicht allein deshalb versagt werden, weil die Steuerverwaltung eines anderen Mitgliedstaats eine Löschung der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers vorgenommen hat, die zwar nach der Lieferung des Gegenstands erfolgt ist, aber auf einen Zeitpunkt vor der Lieferung zurückwirkt.
Normenkette
Art. 138 Abs. 1 RL 2006/112/EG, § 6a UStG
Sachverhalt
Mecsek (M) mit Sitz in Ungarn vereinbarte mit Agro-Trade (A) – in Italien ansässig – im August 2009 die Lieferung von Raps nach Italien. Vor Lieferung teilte A, deren USt-IdNr. bestätigt wurde, die Fahrzeug-Kennzeichen mit, die den Raps nach Italien befördern würden. Die fortlaufend durchnummerierten CMR-Frachtbriefe wurden der Verkäuferin per Post von der Anschrift der Erwerberin in Italien aus zugesandt. Geschäftssitz der A war ein Privathaus und die USt-IdNr. der A, die nie USt abgeführt hatte, war im Januar 2010 rückwirkend zum April 2009 gelöscht worden. M begehrte vergeblich die Steuerbefreiung.
Entscheidung
Die Entscheidung zeigt das Risiko einer nachlässigen Einhaltung der im nationalen Recht (UStDV) geforderten Nachweise. Die rückwirkende Löschung einer USt-IdNr. des Leistungsempfängers darf jedoch nicht dem leistenden Unternehmer angelastet werden.
Hinweis
1. Die vorliegende Entscheidung schien aus der Sicht der – vom BFH umgesetzten – Rechtsprechung des EuGH nicht erforderlich zu sein und ist vielleicht nur der Rücksichtnahme auf die "neuen" Mitglieder und deren nationales Recht geschuldet, das in Ungarn keine konkreten Nachweispflichten regelte wie z.B. eine Liste von Unterlagen, die den zuständigen Behörden für die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung vorzulegen sind. Die Entscheidung ist gleichwohl beachtlich in Bezug auf die Bedeutung der Erfüllung der Nachweispflichten.
2. Bei innergemeinschaftlichen Abhollieferungen ist der leistende Unternehmer hinsichtlich Warenbewegung in einen anderen Mitgliedstaat auf die Angaben des Leistungsempfängers angewiesen und hat darüber hinaus keine Beweismöglichkeit dafür, dass die betreffenden Gegenstände in einen anderen Mitgliedstaat verbracht wurden. Hat er eine qualifizierte Bestätigung über die dem Erwerber von den betreffenden Behörden erteilte USt-IdNr. und ist z.B. – wie im Besprechungsfall – die veräußerte Ware vereinbarungsgemäß mit im Ausland zugelassenen Fahrzeugen abtransportiert worden und sind ihm die CMR-Frachtbriefe von der Erwerberin von deren postalischer Anschrift aus zugeschickt worden, hat er keinen Anhaltspunkt für eine gegenteilige Annahme.
3. Hervorzuheben ist jedoch, dass der EuGH betont, der Grundsatz der Rechtssicherheit verlange, dass der Steuerpflichtige seine steuerlichen Nachweis- und Sorgfaltspflichten kennen muss, bevor er ein Geschäft abschließt und es nicht gegen das Unionsrecht verstößt, von einem Wirtschaftsteilnehmer zu fordern, dass er in gutem Glauben handelt und alle Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt. Wenn also eine Steuerhinterziehung des Erwerbers vorliegt, sei es gerechtfertigt, das Recht auf Mehrwertsteuerbefreiung davon abhängig zu machen, ob der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers verknüpft war. Hat er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um diese zu verhindern, ist ihm der Anspruch auf Mehrwertsteuerbefreiung zu versagen. Das ist nichts Neues.
4. Auch nicht neu ist, dass die Zuteilung einer USt-IdNr. den Nachweis des steuerlichen Status des Steuerpflichtigen für die Zwecke der Mehrwertsteuer und die steuerliche Kontrolle innergemeinschaftlicher Umsätze erleichtert, dass aber Unregelmäßigkeiten des Registers, das die nationale Behörde führen muss, nicht zulasten des Unternehmers gehen können, sofern die materiellen Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung erfüllt sind
5. Neu ist der Akzent, dass die Erfüllung der Nachweispflichten de...