Leitsatz
§ 6a GrEStG gilt für alle Rechtsträger i.S. des GrEStG, die wirtschaftlich tätig sind. Das herrschende Unternehmen muss nicht Unternehmer i.S. des UStG sein.
Normenkette
§ 6a, § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG
Sachverhalt
Mit Vertrag vom 20.5.2010 wurde eine GmbH auf die Klägerin verschmolzen. Alleinige Gesellschafterin der beiden Gesellschaften war seit Jahrzehnten eine gemeinnützige Stiftung. Die Verschmelzung wurde am 6.7.2010 in das Handelsregister eingetragen. Mit der Verschmelzung ging eine Vielzahl von in verschiedenen Finanzamtsbezirken gelegenen Grundstücken aus dem Vermögen der GmbH auf die Klägerin über.
Das FA stellte die Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer gemäß § 17 GrEStG gesondert fest. Die Steuerbegünstigung nach § 6a GrEStG gewährte das FA nicht, da die Stiftung keine Unternehmerin i.S.d. UStG sei. Der Einspruch blieb erfolglos. Das FG gab der Klage statt (Niedersächsisches FG, Urteil vom 9.7.2014, 7 K 135/12, Haufe-Index 8515761, EFG 2015, 1739).
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des FA aus den in den Praxis-Hinweisen genannten Gründen als unbegründet zurück.
Hinweis
1. Beim Besprechungsurteil II R 19/19 (BFH/NV 2020, 448) und den ebenfalls in diesem Heft besprochenen weiteren Urteilen vom 21.8.2019 (II R 15/19, II R 16/19, II R 20/19, II R 21/19) und 22.8.2019 (II R 17/19, II R 18/19) handelt es sich um die ersten Sachentscheidungen des BFH zu § 6a GrEStG.
Der BFH legt die Vorschrift viel weiter als die Finanzverwaltung aus. Die Steuerpflichtigen haben in allen Fällen außer im Verfahren II R 17/19 (II R 58/14) obsiegt.
2. Der durch die Verschmelzung einer GmbH auf einen anderen Rechtsträger bewirkte Übergang des Eigentums an den Grundstücken der GmbH unterliegt nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer. Es handelt sich um gesetzliche Eigentumswechsel, bei denen kein den Anspruch auf Übereignung begründendes Rechtsgeschäft vorausgegangen war und es auch keiner Auflassung bedurfte.
3. § 6a GrEStG sieht unter bestimmten Voraussetzungen für den gesetzlichen Eigentumsübergang bei der Verschmelzung und anderen Umwandlungen i.S.d. § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 UmwG die Nichterhebung der Grunderwerbsteuer vor. Die Nichterhebung der Steuer setzt voraus, dass an dem Umwandlungsvorgang ausschließlich ein herrschendes Unternehmen und ein oder mehrere von diesem herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften oder mehrere von einem herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften beteiligt sind (§ 6a Satz 3 GrEStG). Im Sinne von Satz 3 abhängig ist eine Gesellschaft, an deren Kapital oder Gesellschaftsvermögen das herrschende Unternehmen innerhalb von fünf Jahren vor dem Rechtsvorgang und fünf Jahren nach dem Rechtsvorgang unmittelbar oder mittelbar oder teils unmittelbar, teils mittelbar zu mindestens 95 % ununterbrochen beteiligt ist (§ 6a Satz 4 GrEStG).
4. Der BFH ist bereits in dem an den EuGH gerichteten Vorabentscheidungsersuchen (BFH, Beschluss vom 30.5.2017, II R 62/14, BFH/NV 2017, 1133, BStBl II 2017, 916; vgl. unten 7.) von einem weiten Anwendungsbereich des § 6a GrEStG ausgegangen. So sei die Anwendung der Vorschrift auf die Verschmelzung einer GmbH auf ihre Alleingesellschafterin, eine AG, entgegen dem Wortlaut von Satz 4 der Vorschrift nicht deshalb ausgeschlossen, weil die GmbH aufgrund der Verschmelzung erlösche.
5. Dieser Linie ist der BFH in den nunmehr ergangenen Urteilen gefolgt.
a) Eine Gesellschaft, die durch die Umwandlung entsteht oder erlischt, kann zwar die in § 6a Satz 4 GrEStG bestimmten zeitlichen Voraussetzungen der Abhängigkeit (Vorbehaltens- und Nachbehaltensfrist) aus rechtlichen Gründen nicht vollständig erfüllen. Dies schließt aber nach Sinn und Zweck des § 6a GrEStG die Nichterhebung der Steuer nach dieser Vorschrift nicht aus.
b) Weit auszulegen ist auch der in dieser Vorschrift verwendete Begriff des herrschenden Unternehmens. Herrschendes Unternehmen können Einzelunternehmen, Personen- und Kapitalgesellschaften sowie natürliche und juristische Personen sein, die wirtschaftlich tätig sind, somit auch eine gemeinnützige Stiftung. Der Anwendungsbereich des § 6a GrEStG ist nicht auf Unternehmen i.S.d. UStG beschränkt. Die Beteiligung an den abhängigen Gesellschaften muss auch nicht im Betriebsvermögen, sondern kann auch im Privatvermögen gehalten werden.
6. Die Vorbehaltens- und Nachbehaltensfristen sind nicht grundstücksbezogen zu verstehen. Selbst im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Umwandlungsvorgang verwirklichte andere Erwerbsvorgänge stehen der Anwendung des § 6a GrEStG nicht entgegen.
7. Bei dem Vorabentscheidungsersuchen (oben 4.) ging es um die Frage, ob § 6a GrEStG den Charakter einer Beihilfe i.S.d. Art. 107 Abs. 1 AEUV hat.
a) Nach dem dazu ergangenen EuGH-Urteil (EuGH, Urteil vom 19.12.2018, C-374/17, A-Brauerei,BFH/NV 2019, 190, EU:C:2018:1024) wirkt § 6a GrEStGa prioriselektiv. Diese selektive Wirkung ist aber gerechtfertigt, weil sie unmittelbar auf den Grund- oder Leitprinzipien des Steuersystems beruht. § 6a GrEStG dient nach Au...