OFD Frankfurt, Verfügung v. 2.12.2004, S 0177 A - 1 - St II 1.03
I. Verpflichtung zur zeitnahen Mittelverwendung:
Das Gebot der Selbstlosigkeit beinhaltet, dass eine steuerbegünstigte Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse (Körperschaft) ihre Mittel grundsätzlich zeitnah für ihre steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke verwenden muss (§ 55 Abs. 1 Nr. 5 AO). Eine zeitnahe Verwendung ist gegeben, wenn die Mittel spätestens in dem auf den Zufluss folgenden Kalender- oder Wirtschaftsjahr für die steuerbegünstigten Zwecke verwendet werden. Verwendung in diesem Sinne ist auch die Verwendung der Mittel für die Anschaffung oder Herstellung von Vermögensgegenständen, die satzungsgemäßen Zwecken dienen.
II. Rücklagenbildung und Vermögenszuführungen:
1. Allgemeines:
Als Ausnahmeregelung zum Gebot der zeitnahen Mittelverwendung lässt § 58 Nrn. 6, 7, 11 und 12 AO zu, dass eine Körperschaft unter bestimmten Voraussetzungen ihre Mittel ganz oder teilweise einer Rücklage bzw. ihrem Vermögen zuführt.
Hierfür ist keine Ermächtigung durch die Satzung der Körperschaft erforderlich. Auch ohne entsprechende Satzungsbestimmung können die folgenden Ausnahmetatbestände verwirklicht werden (vgl. AEAO, Tz. 23 zu § 58 Nr. 2 bis 12).
2. Rücklagenbildung:
Ob die Voraussetzungen für die Bildung einer Rücklage gegeben sind, hat die steuerbegünstigte Körperschaft dem FA im einzelnen darzulegen. Die Rücklagen müssen in der Rechnungslegung der Körperschaft gesondert – ggf. getrennt nach dem jeweiligen Rechtsgrund – ausgewiesen werden, damit eine Kontrolle jederzeit und ohne besonderen Aufwand möglich ist (vgl. AEAO, Tz. 18 zu § 58 Nr. 6 und 7). Bilanzierende Körperschaften haben daher die Rücklagen in ihrer Bilanz offen (getrennt vom übrigen Kapital) auszuweisen. Nicht bilanzierende Körperschaften haben die Rücklagen neben ihren Aufzeichnungen über ihre Einnahmen und Ausgaben (§ 63 Abs. 3 AO) in einer gesonderten Aufstellung auszuweisen.
Hat die Körperschaft, ohne dass die Voraussetzungen des § 58 Nr. 6 und 7 AO vorliegen, Mittel angesammelt, so entspricht die tatsächliche Geschäftsführung nicht dem Erfordernis des § 55 Abs. 1 Nr. 5 AO. Das FA kann der Körperschaft gemäß § 63 Abs. 4 AO eine Frist für die Verwendung der Mittel setzen. Die Frist ist nach den Umständen des Einzelfalles zu bemessen, sollte jedoch regelmäßig 2 bis 3 Jahre nicht übersteigen.
2.1 Rücklagen i.S. d. § 58 Nr. 6 AO:
Nach § 58 Nr. 6 AO wird die Steuervergünstigung nicht dadurch ausgeschlossen, dass eine Körperschaft ihre Mittel ganz oder teilweise einer Rücklage zuführt, soweit dies erforderlich ist, um ihre steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke nachhaltig erfüllen zu können (zweckgebundene Rücklage).
Die Mittel müssen für bestimmte Zweckverwirklichungsmaßnahmen angesammelt werden. Für die Durchführung müssen konkrete Zeitvorstellungen bestehen. Kann für ein bestimmtes Vorhaben noch kein genauer Zeitpunkt für die Durchführung festgelegt werden, ist eine Rücklagenbildung nur zulässig, wenn die Durchführung glaubhaft und bei den finanziellen Verhältnissen der Körperschaft in einem angemessenen Zeitraum möglich ist (vgl. AEAO, Tz. 10 zu § 58 Nr. 6). Grundsätzlich sollte ein Zeitraum von 4 bis 5 Jahren nicht überschritten werden. Das Merkmal „erforderlich” ist – hinsichtlich Grund, Höhe und zeitlichem Umfang – nach objektiven Kriterien des konkreten Falles zu überprüfen (vgl. BFH-Urteil vom 13.9.1989, I R 19/85, BStBl 1990 II S. 28). Nicht ausreichend ist das Bestreben, ganz allgemein die Leistungsfähigkeit der Körperschaft zu erhalten. Desgleichen ist die erstmalige Bildung einer ertragbringenden Vermögenssubstanz aus den Mitteln der Körperschaft zur nachhaltigen Zweckerfüllung nicht erforderlich (vgl. BFH-Urteil vom 13.9.1989, a.a.O.).
Zu den nach § 58 Nr. 6 AO zulässigen Rücklagen gehört auch die sog. Betriebsmittelrücklage für periodisch wiederkehrende Ausgaben in Höhe des Mittelbedarfs für eine angemessene Zeitspanne. Die Berechnung der Höhe der Rücklage ist davon abhängig, in welchem Umfang die Körperschaft regelmäßige Einnahmen erzielt. Insoweit bestimmt sich die Zeitspanne (höchstens bis zu einem Geschäftsjahr) nach den Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalles.
Ebenfalls unschädlich ist die vorsorgliche Bildung einer Rücklage zur Bezahlung von Steuern außerhalb eines steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes, solange Unklarheit darüber besteht, ob die Körperschaft insoweit in Anspruch genommen wird.
Soweit die Voraussetzungen des § 58 Nr. 6 AO erfüllt sind, stehen sämtliche Mittel der Körperschaft für die Rücklagenbildung zur Verfügung. Auf die Herkunft der Mittel kommt es nicht an.
Soweit die Körperschaft mehrere Vorhaben gleichzeitig beabsichtigt, sind nebeneinander mehrere Rücklagen nach § 58 Nr. 6 AO zulässig. Desgleichen gilt, wenn neben einer Rücklage nach § 58 Nr. 6 AO eine Rücklage nach § 58 Nr. 7 AO (vgl. Tz. II 2.2) gebildet wird.
Die Voraussetzungen für die Rücklage nach § 58 Nr. 6 AO sind in jedem Prüfungszeitraum erneut zu prüfen. ...