Leitsatz
1. Trifft die Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG mit dem (positiven) Progressionsvorbehalt des § 32b EStG zusammen, so ist eine integrierte Steuerberechnung dergestalt vorzunehmen, dass die Progressionseinkünfte bei der Steuerberechnung nach § 34 Abs. 1 EStG steuersatzerhöhend berücksichtigt werden (Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 15.11.2007, VI R 66/03).
2. Übersteigen die der Tarifermäßigung unterliegenden außerordentlichen Einkünfte das zu versteuernde Einkommen, so richtet sich die Steuerberechnung nach § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG. Die Progressionseinkünfte sind hierbei nur insoweit zu berücksichtigen, als sich nach einer Verrechnung mit dem negativen verbleibenden zu versteuernden Einkommen ein positiver Differenzbetrag ergibt (so auch H 34.2 Beispiel 4 EStH 2006).
Normenkette
§ 32b EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002, § 32a Abs. 1, § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin hatte für das Streitjahr (2000) die getrennte Veranlagung zur ESt gewählt. Sie war bis zum 31.03. bei einem Kreditinstitut nichtselbstständig tätig und erzielte hieraus Einkünfte i.H.v. 79 031 DM. Hiervon erhielt sie einen Teilbetrag i.H.v. 75 115 DM als Arbeitslohn für mehrere Jahre, für den sie im Rahmen der ESt-Erklärung die Anwendung der Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung beantragte. Ab dem 01.04. war die Klägerin arbeitslos gemeldet und erhielt im Streitjahr Arbeitslosengeld i.H.v. 11 291 DM.
Das FA setzte die ESt für das Streitjahr auf 9 310 DM fest. Der Steuerfestsetzung lag ein zu versteuerndes Einkommen i.H.v. 75 035 DM zugrunde, für das in vollem Umfang die beantragte Tarifermäßigung gewährt wurde. Bei der Steuerberechnung nach § 34 Abs. 1 EStG berücksichtigte das FA das Arbeitslosengeld im Rahmen des Progressionsvorbehalts nach § 32b EStG in voller Höhe.
Mit ihrer Klage wandte sich die Klägerin gegen die volle Einbeziehung des Arbeitslosengelds bei der Steuerberechnung nach § 34 Abs. 1 EStG und begehrte die Herabsetzung der ESt auf 3 270 DM.
Die Klage hatte überwiegend keinen Erfolg (EFG 2008, 47).
Entscheidung
Die Revision der Klägerin blieb erfolglos.
Die Steuerberechnung sei im angefochtenen Steuerbescheid ohne Rechtsfehler vorgenommen worden.
Hinweis
1. Nachdem der BFH in seinem Urteil vom 15.11.2007, VI R 66/03 -- BFH-PR 2008, 187 entschieden hat, wie die ESt beim Zusammentreffen von Tarifermäßigung und negativem Progressionsvorbehalt zu berechnen ist, hat er nunmehr mit der vorliegenden Entscheidung die Steuerberechnung beim Vorliegen von Tarifermäßigung und positivem Progressionsvorbehalt einer Klärung zugeführt. Die im Schrifttum heftig umstrittenen Fragen nach dem Verhältnis der Tarifermäßigung zum Progressionsvorbehalt dürften damit umfassend geklärt sein.
2. In seiner Entscheidung führt der BFH zunächst an, dass das im Streitjahr an die Klägerin gezahlte Arbeitslosengeld gem. § 32b Abs. 1 Nr. 1a EStG im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen ist. Ferner ist der Progressionsvorbehalt nach § 32b EStG grundsätzlich neben der Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG anwendbar. Allerdings war bisher unklar, in welchem Verhältnis die Vorschriften zueinander stehen. Denn diese Frage ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt.
Der BFH führte deshalb zunächst detailliert die verschiedenen, hier nicht weiter interessierenden Meinungen zu der vorliegenden Frage an.
3. Die Auffassung des BFH: Nach dem Wortlaut und der systematischen Stellung des § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG sind die Progressionseinkünfte bei der Steuerberechnung im Rahmen des Progressionsvorbehalts in vollem Umfang (und nicht nur zu einem Fünftel entsprechend der Fünftelregelung) zu berücksichtigen. Der Wortlaut des § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG verweist durch die Bezugnahme auf die ESt, die auf ein Fünftel des zu versteuernden Einkommens entfällt, auf die Tarifvorschriften des EStG, zu denen auch § 32b EStG gehört. § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG schreibt damit -- ebenso wie § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG und § 32b EStG -- eine integrierte Steuerberechnung vor. Die sog. additive Lösung scheidet folglich auch hier aus (siehe hierzu BFH, Urteil 15.11.2007, VI R 66/03 -- BFH-PR 2008, 187).
Aus dem systematischen Zusammenhang des § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG zu § 32b EStG folgt, dass sich die im Rahmen der Steuerberechnung nach § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG durchzuführende Fünftelung nur auf das zu versteuernde Einkommen bezieht, nicht aber auf die Progressionseinkünfte nach § 32b EStG. Denn die Progressionseinkünfte sind bei der Steuerberechnung nach § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG im Rahmen des Progressionsvorbehalts erst bei der Ermittlung der ESt zu berücksichtigen, die sich an die Fünftelung des zu versteuernden Einkommens anschließt.
Der Progressionsvorbehalt findet nach dem Wortlaut des § 32b EStG auch bei der Steuerberechnung nach § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG Anwendung, bei der das zu versteuernde Einkommen ausschließlich aus außerordentlichen Einkünften i.S.d. § 34 Abs. 2 EStG besteht. Denn der besondere Steuersatz i.S.d. § 32b Abs. 2 EStG...