Leitsatz
Ein rechtswidriger belastender bestandskräftiger Steuerbescheid ist auch unter Berücksichtigung von Art. 10 EG nicht änderbar, wenn das nationale Recht hierfür keine Rechtsgrundlage vorsieht. Legt somit eine GmbH gegen nicht vorläufig ergehende Steuerbescheide keinen Einspruch ein, besteht kein Anspruch auf Änderung der bestandskräftigen Bescheide, selbst wenn der EuGH die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit einer für diesen Fall relevanten Norm im Nachhinein feststellt.
Sachverhalt
Die 100 %ige Tochterkapitalgesellschaft einer ausländischen Mutterkapitalgesellschaft hatte an diese Darlehenszinsen gezahlt. Im Rahmen einer Außenprüfung wurden diese Zinsen gemäß § 8a KStG a.F. in verdeckte Gewinnausschüttungen umqualifiziert. In der Schlussbesprechung wurde sich geeinigt, dass über diesen Problempunkt eine tatsächliche Verständigung getroffen werden solle. Die Klägerin teilte dem Finanzamt mit, dass sie aufgrund der zu erwartenden Unvereinbarkeit des § 8a KStG a.F. mit Europarecht die Veranlagungen in diesem Punkt im Rechtsmittelverfahren offen halten möchte. Gegen die anschließend erlassenen Steuerbescheide wurde jedoch kein Einspruch eingelegt. Nachdem der EuGH tatsächlich die Europarechtswidrigkeit des § 8a KStG a.F. entschieden hat, beantragte die Klägerin dementsprechend, die Bescheide hinsichtlich der verdeckten Gewinnausschüttungen zu ändern. Insbesondere ergebe sich dieser Anspruch aus Art. 10 EGV sowie der Rechtsprechung des EuGH, wonach die Mitgliedstaaten grundsätzlich verpflichtet seien, gemeinschaftsrechtswidrig erhobene Abgaben zu erstatten. Das beklagte Finanzamt hat den Einspruch als unbegründet zurückgewiesen, da die Bestandskraft nach nationalem Recht die Rücknahme von Steuerbescheiden, deren Inhalt gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, verhindere.
Entscheidung
Die Klage wird als unbegründet abgewiesen. Die angegriffenen Bescheide sind nach nationalem Recht unstreitig bestandskräftig. Der Beklagte war auch nicht gemäß Art. 10 EGV verpflichtet, die Bescheide zu ändern. In seinem Urteil vom 13.1.2004 (Rs. C-453/00) hat der EuGH ausgeführt, dass die Rechtssicherheit zu den im Gemeinschaftsrecht anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehöre. Die Bestandskraft einer Verwaltungsentscheidung trage zur Rechtssicherheit bei. Daher verlange das Gemeinschaftsrecht nicht, dass eine Verwaltungsbehörde grundsätzlich verpflichtet sei, eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zurückzunehmen. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die Aufhebung eines rechtswidrigen belastenden bestandskräftigen Verwaltungsakts nach der EuGH-Rechtsprechung grundsätzlich nur dann in Betracht kommt, wenn sie durch eine nationale Regelung ermöglicht wird. Dies ist aber vorliegend gerade nicht der Fall.
Hinweis
Die Entscheidung des Finanzgerichts legt fest, dass selbst bei festgestellter Europarechtswidrigkeit von Steuernormen die verfahrensrechtlichen deutschen Vorschriften zwingend eingehalten werden müssen, um die sich aus dem EuGH-Urteil ergebenden Rechte zu sichern. In ähnlich gelagerten Fällen ist also dringend das Einlegen eines Einspruchs mit anschließendem Antrag auf entweder Ruhen des Verfahrens oder Aufnahme eines Vorläufigkeitsvermerks zu empfehlen.
Link zur Entscheidung
FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.11.2008, 12 K 8095/05 B