Leitsatz
Die isolierte Einlagerung eingefrorener Eizellen ist jedenfalls dann gemäß § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG steuerfrei, wenn sie im Rahmen eines therapeutischen Kontinuums mit einer Kryokonservierung erfolgt, bei dem Einlagerung und Kryokonservierung zwar durch zwei unterschiedliche Unternehmer durchgeführt werden, für die aber dieselben Ärzte tätig sind.
Normenkette
§ 4 Nr. 14 Buchst. a UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. c EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), § 126a FGO
Sachverhalt
Die Klägerin, eine GmbH, ist Gesamtrechtsnachfolgerin einer GbR, deren Gesellschafter die Ärzte E, O und H waren. Die GbR wurde mit Wirkung zum 10.4.2018 in die Klägerin eingebracht. Die Gesellschafter der GbR waren Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Diese betrieben im Jahr 2014 (Streitjahr) zugleich das Medizinische Versorgungszentrum K (MVZ) in der Rechtsform einer Partnerschaftsgesellschaft, ohne dass eine Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG vorlag.
Die GbR war im Bereich der Kryokonservierung zum Zweck der medizinisch indizierten künstlichen Befruchtung in Fällen tätig, in denen eine organisch bedingte Sterilität bei einem der beiden fortpflanzungswilligen Partner vorlag. Nach § 1 des Gesellschaftsvertrages bestand der Gesellschaftszweck im tiefgekühlten Einlagern von Samen‐ und Eizellen. Wurde im Rahmen der Kinderwunschbehandlung von den Patienten die Entscheidung über eine Kryokonservierung getroffen, schlossen die Patienten mit dem MVZ einen "Vertrag über die Kryokonservierung von I. Eizellen im Vorkernstadium ... und/oder II. Embryonen" ab. Zudem schlossen die Patienten mit der GbR einen Vertrag über deren "Lagerung" ab. Gegen die Annahme einer USt-Pflicht ihrer Leistungen erhob die GmbH Klage zum FG. Dieses gab der Klage statt (FG Münster, Urteil vom 6.2.2020, 5 K 158/17 U, Haufe-Index 13757996, EFG 2020, 617).
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz.
Hinweis
1. Zu den nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG steuerfreien Heilbehandlungsleistungen zählte der BFH bereits in der Vergangenheit auch die "weitere Lagerung" von im Rahmen einer Fruchtbarkeitsbehandlung eingefrorenen Eizellen durch einen Arzt gegen ein vom Patienten gezahltes Entgelt, wenn damit ein therapeutischer Zweck verfolgt wird, wie er z.B. bei der Herbeiführung einer weiteren Schwangerschaft im Hinblick auf eine andauernde organisch bedingte Sterilität besteht.
2. Steuerfrei ist danach auch die isolierte Einlagerung eingefrorener Eizellen. Soweit die Finanzverwaltung demgegenüber die Steuerfreiheit für die Lagerung eingefrorener Eizellen oder Spermien als dem einzigen Leistungsgegenstand davon abhängig macht, ob es sich um eine "weitere Lagerung" (Abschn. 4.14.2 Abs. 4 Satz 2 UStAE) oder um eine "bloße Lagerung" (Abschn. 4.14.2 Abs. 4 Satz 4 UStAE) handelt und für den Fall der bloßen Lagerung eine zur Steuerpflicht führende Regelvermutung aufstellt, folgt dem der BFH nicht. Denn in beiden Fällen handelt es sich um eine Lagerung als eigenständige Leistung.
3. So ist es jedenfalls dann, wenn ein therapeutisches Kontinuum vorliegt.
a) Danach ist z.B. die Abgabe von Arzneimitteln im Rahmen einer ambulanten Krebsbehandlung für diese unerlässlich und damit wie diese steuerfrei, da diese ärztliche Leistung ohne diese Medikamentenabgabe sinnlos wäre.
b) Mit der Einlagerung wird im Hinblick auf eine vorgehende oder eine sich anschließende Fruchtbarkeitsbehandlung ein therapeutischer Zweck verfolgt.
c) Handelt es sich bei der Fruchtbarkeitsbehandlung und bei der Einlagerung um Leistungen zweier unterschiedlicher Unternehmer, ist dies im Rahmen dieses Kontinuums jedenfalls dann unerheblich, wenn für die beiden Unternehmer dieselben Personen tätig sind.
Die Lagerung unterscheidet sich zudem nicht von anderen Leistungen, die im Rahmen eines therapeutischen Kontinuums, z.B. von einem Laborarzt als einem gegenüber dem behandelnden Arzt eigenständigen Unternehmer, erbracht werden.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 7.7.2022 – V R 10/20