Leitsatz
Eine in der EU oder dem EWR ansässige gemeinnützige Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG kann unabhängig von einer inländischen Steuerpflicht Stipendien vergeben, die nach § 3 Nr. 44 EStG steuerfrei sind.
Normenkette
§ 3 Nr. 44 EStG, Art. 63 AEUV, Art. 56 EG
Sachverhalt
Die Klägerin ist Ärztin. Im Jahr 2000 bewilligte ihr E, ein Verein, der nach französischem Recht als gemeinnützig anzusehen ist und der auch die Anforderungen des deutschen Gemeinnützigkeitsrechts erfüllen würde, ein Stipendium für ein Forschungsprojekt. Das FA lehnte die von der Klägerin gem. § 3 Nr. 44 EStG beanspruchte Steuerfreiheit des Stipendiums ab, da E nicht im Inland steuerpflichtig sei. Das FG gab der Klage statt (FG Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, Urteil vom 12.12.2007, 3 K 209/03, Haufe-Index 1950206, EFG 2008, 670).
Im Revisionsverfahren bezweifelte das FA die Auffassung des FG, wonach die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 44 EStG unabhängig von einer inländischen Steuerpflicht der E gewährt werden müsse. E werde im Inland nicht benachteiligt, da es für die französische Stiftung keinen Unterschied mache, ob sie das Stipendium einem deutschen oder einem französischen Stipendiaten gewähre. Zudem wäre eine Ungleichbehandlung wegen des anerkannten Rechtfertigungsgrundes der Wirksamkeit der Steueraufsicht und -kontrolle gerechtfertigt.
Entscheidung
Der BFH hat die Revision des FA aus den oben dargestellten Gründen als unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
Bei dem Stichwort "gemeinnützige EU/EWR-Institutionen" denkt man zunächst an die Steuerfreiheit ausländischer Institutionen und die steuerliche Anerkennung grenzüberschreitender Spenden und damit an die Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen "Stauffer" (Slg. 2006, I-8203) und "Persche" (Slg. 2009, I-359). Der Besprechungsfall beschäftigt sich mit einer anderen Variante der grenzüberschreitenden Gemeinnützigkeit, nämlich der Möglichkeit einer gemeinnützigen Institution, Stipendien zu gewähren, die bei dem Empfänger steuerbefreit sind.
1. Nach § 3 Nr. 44 S. 2 EStG sind Stipendien steuerfrei, die zur Förderung der Forschung oder zur Förderung der wissenschaftlichen oder künstlerischen Ausbildung oder Fortbildung u.a. von einer gemeinnützigen Einrichtung i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG gewährt werden. Aufgrund des durch das JStG 2009 neu gefassten § 5 Abs. 2 Nr. 2 KStG werden beschränkt steuerpflichtige EU/EWR-Einrichtungen den inländischen steuerbegünstigten Institutionen rückwirkend gleichgestellt. § 5 Abs. 2 Nr. 2 KStG n.F. nimmt jedoch auf die beschränkt Steuerpflichtigen i.S.d. § 2 Nr. 1 KStG Bezug, sodass man der Auffassung sein könnte, dass Voraussetzung für die Gleichstellung einer EU/EWR-Institution das Vorliegen einer beschränkten Steuerpflicht sei.
2. In Bezug auf die Gewährung eines steuerfreien Stipendiums fordert § 3 Nr. 44 EStG aber nicht, dass eine Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse gem. § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG tatsächlich im konkreten Fall steuerbefreit sein muss. Es muss sich lediglich um eine Körperschaft i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStGhandeln. Es reicht bei unionsrechtskonformer Auslegung aus, wenn eine Körperschaft, würde sie inländische Einkünfte erzielen, von der Körperschaftsteuer befreit wäre. Eine andere Auslegung, die die Steuerfreiheit eines Stipendiums bei dem Stipendiaten von dem – zufälligen – Vorhandensein inländischer Einkünfte des Stipendiumgebers abhängig machen würde, verstieße gegen die Kapitalverkehrsfreiheit des Art. 56 EG (jetzt Art. 63 AEUV).
3. Die von der Finanzverwaltung geltend gemachte Wirksamkeit der Steuerkontrolle kann die grundsätzliche Verweigerung der Steuerfreiheit der Stipendien einer nicht in Deutschland steuerpflichtigen gemeinnützigen EU/EWR-Institution im Unterschied zu Stipendien gemeinnütziger inländischer Institutionen oder gemeinnütziger EU/EWR-ansässiger Institutionen mit inländischen Einkünften nicht rechtfertigen.
Mit diesem Urteil wird es einer EU/EWR-Institution zwar ermöglicht, Stipendien zu gewähren, die bei dem Empfänger steuerbefreit sind. Die EU/EWR-Institution muss aber nachweisen, dass sie die deutschen Gemeinnützigkeitsanforderungen der §§ 51 ff. AO erfüllt. Dies dürfte sich in der Praxis als nicht einfach erweisen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 15.09.2010 – X R 33/08