Leitsatz
Beiträge zur Zukunftssicherung des Arbeitnehmers, zu deren Leistung der Arbeitgeber aufgrund einer Allgemeinverbindlicherklärung gem. § 5 TVG verpflichtet ist, sind steuerfrei (§ 3 Nr. 62 Satz 1 Alternative 3 EStG).
Normenkette
Art. 9 Abs. 3 GG, § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG, §§ 4, 5 TVG
Sachverhalt
Die Klägerin, ein landwirtschaftlicher Produktions- und Handelsbetrieb, führte in den Jahren 1998 bis 2001 für jeden Arbeitnehmer monatlich 10 DM an die Zusatzversorgungskasse für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft (ZLA), einer Anstalt des öffentlichen Rechts, ab. Die Klägerin, die selbst nicht tarifgebunden ist, kam damit einer Verpflichtung aus dem zwischen der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft und den land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbänden abgeschlossenen Tarifvertrag nach. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat die Bestimmungen des erwähnten Tarifvertrags über das Zusatzversorgungswerk gem. § 5 TVG für allgemeinverbindlich erklärt.
Die Klägerin unterwarf die Leistungen nicht der LSt. Das FA erfasste die Beträge als steuerpflichtigen Arbeitslohn und erhob pauschal LSt nach. Das FG gab der Klage statt (EFG 2006, 1038).
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Vorentscheidung. Der Anwendungsbereich des § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG erstrecke sich auch auf solche Fälle, in denen Arbeitgeber Beiträge zur Zukunftssicherung des Arbeitnehmers leisteten, zu denen nicht tarifgebundene Arbeitgeber aufgrund einer Allgemeinverbindlicherklärung verpflichtet seien. Der besondere Charakter der Allgemeinverbindlicherklärung stehe der Steuerbefreiung nicht entgegen.
Hinweis
1. Nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG sind Ausgaben des Arbeitgebers für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers steuerfrei, soweit der Arbeitgeber dazu nach sozialversicherungsrechtlichen oder anderen gesetzlichen Vorschriften oder nach einer auf gesetzlicher Ermächtigung beruhenden Bestimmung verpflichtet ist. Leistungen, die aufgrund einer freiwillig begründeten Rechtspflicht erbracht werden, sind nicht steuerbefreit (vgl. dazu auch BFH, Urteil vom 18.05.2004, VI R 11/01, BFH-PR 2004, 388).
2. Im Streitfall hatte das (unterlegene) FA im Wesentlichen die Meinung vertreten, dass die Voraussetzungen des § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG deshalb nicht erfüllt seien, weil eine Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags keine auf gesetzlicher Ermächtigung beruhende Bestimmung sei. Dem hat sich der BFH nicht angeschlossen. Er vertritt die Ansicht, dass die Vorschrift des § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG jedenfalls dann eingreife, wenn ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber aufgrund einer Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags (§ 5 TVG) zur Zahlung verpflichtet ist. Die Allgemeinverbindlicherklärung wirke wie eine gesetzliche Verpflichtung.
Offen ließ der BFH, ob auch Zukunftssicherungsleistungen des Arbeitgebers, zu denen er (nur) aufgrund eines Tarifvertrags verpflichtet ist, die Voraussetzungen des § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG erfüllen.
3. Seine Entscheidung begründet der BFH damit, dass Art. 9 Abs. 3 GG eine Ordnung des Arbeits- und Wirtschaftslebens gewährleistet, bei der der Staat seine Zuständigkeit zur Rechtsetzung weitgehend zurückgenommen und die Bestimmung der regelungsbedürftigen Einzelheiten des Arbeitsvertrags grundsätzlich den Tarifparteien überlassen hat. Der Gesetzgeber hat den Tarifparteien auf der Grundlage der Bedeutung des Grundrechts der Koalitionsfreiheit im TVG das Mittel des Tarifvertrags an die Hand gegeben. Bei der Normsetzung durch die Tarifparteien handelt es sich um Gesetzgebung im materiellen Sinn, die Normen im rechtstechnischen Sinn erzeugt.
Soweit überdies ein öffentliches Interesse daran besteht, dass im Geltungsbereich eines Tarifvertrags alle Arbeitsverhältnisse in ihren Mindestbedingungen inhaltlich gleich gestaltet sind, bewirkt die Allgemeinverbindlicherklärung, dass die von den Tarifparteien ausgehandelten Rechtsnormen auch für Nichtverbandsmitglieder durch staatlichen Hoheitsakt verbindlich werden. Insoweit handelt es sich um einen dem Staat vorbehaltenen Geltungsbefehl, der die Außenseiter an die Tarifnorm bindet.
Zwar ist die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen kein Gesetz im formellen Sinn, also auch keine Rechtsverordnung. Vielmehr ist sie im Verhältnis zu den ohne sie nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ein Rechtsetzungsakt eigener Art zwischen autonomer Regelung und staatlicher Rechtsetzung, der seine eigenständige Rechtsgrundlage in Art. 9 Abs. 3 GG findet.
4. Maßgeblich ist nach alledem, dass der nicht tarifgebundene Arbeitgeber materiell gesetzlich verpflichtet ist, Zukunftssicherungsleistungen zu erbringen. Dies rechtfertigt, die insoweit gesetzlich auferlegten Zwangsbeiträge nicht vom Anwendungsbereich der Befreiungsvorschrift des § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG auszuschließen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 13.09.2007, VI R 16/06