Zusammenfassung
Angaben gegenüber dem Finanzamt bestehen meist nicht nur in Mitteilungen über Tatsachen, sondern sind (auch) das Ergebnis einer steuerrechtlichen Beurteilung. Zur Angabe einer Zahl in einer Steuererklärung, z. B. des Gewinns, kommt es, nachdem zuvor Tatsachen rechtlich eingeordnet wurden, also zwischen rechtlich erheblichen und rechtlich unerheblichen Tatsachen wertend unterschieden wurde. Derartige Wertungen können mehrere Möglichkeiten offen lassen. Es stellt sich dann die Frage, welche Rechtsauffassung der Steuerpflichtige bzw. sein Berater bei der Abgabe der Steuererklärung zu Grunde zu legen hatte bzw. zu Grunde legen durfte – die (mutmaßliche) Rechtsauffassung des Finanzamts, die Rechtsprechung des BFH, die Auffassung eines FG, eine "vertretbare" Rechtsauffassung? Ferner können sich hinter den in einer Steuererklärung, Gewinn- und Verlustrechnung oder Bilanz mitgeteilten Zahlen – für das Finanzamt nicht erkennbar – die verschiedensten Sachverhalte verbergen. Eine alte steuerstrafrechtliche Streitfrage ist es, was der Steuerpflichtige dem Finanzamt gegenüber ungefragt – in zusätzlichen Anlagen oder Erläuterungen – zu offenbaren hat.
Die Steuerhinterziehung ist in § 370 AO geregelt. § 42 AO enthält Regelungen zum Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten. § 90 AO regelt die Mitwirkungspflichten.
1 Offenbarungspflichten im Besteuerungsverfahren
Nach einer Ansicht besteht bei den Offenbarungspflichten die Pflicht zur Orientierung an der höchstrichterlichen Rechtsprechung und den Richtlinien der Finanzverwaltung, welche den typisierten Empfängerhorizont der Finanzbehörde darstellen sollen.
Bei dieser Auffassung schließt sich die Frage an, ob Steuerpflichtige zusätzlich (in Erläuterungen, Anlagen) etwas offenbaren müssen, wenn sie eine andere Rechtsauffassung vertreten als (mutmaßlich) das Finanzamt. Dies impliziert die weitere Frage, was dann eigentlich zu offenbaren wäre. Verlangt man die Ausrichtung an der Rechtsansicht des Finanzamts, wäre folgerichtig die Mitteilung all dessen erforderlich, was eine Nichtanerkennung durch das Finanzamt verursachen kann. Vollständig ist eine Erklärung nach dieser Ansicht erst, wenn sie auch die Umstände umfasst, die in diesen Fällen für die Steuerpflichtigen ungünstig sind oder sein können. Im Falle des § 42 AO ist es die Pflicht, der Finanzbehörde mitzuteilen, dass eine rechtliche Gestaltung ausschließlich aus steuerlichen Gründen gewählt wurde.
Die Gegenmeinung weist darauf hin, dass die Richtlinien der Finanzverwaltung nicht an den Steuerpflichtigen adressiert und für diesen nicht verbindlich seien. BFH-Urteile wirkten nur zwischen den Verfahrensbeteiligten; für Dritte enthielten sie nur einen – allerdings gewichtigen –"Auslegungsvorschlag", den man zur Kenntnis nehmen könne oder auch nicht. Erst recht sei der Steuerberater nicht an die herrschende Meinung gebunden. Ein Gebot, die Rechtsprechung des BFH zu beachten, würde zudem einen Zwang zur Inanspruchnahme von Steuerberatung bedeuten, denn der Laie könne diese Urteile nicht beachten. Angaben in Steuererklärungen, Gewinn- und Verlustrechnungen und Bilanzen seien dann nicht unrichtig oder unvollständig, wenn sie auf vertretbaren Rechtsansichten beruhten. Der Steuerpflichtige ist nach dieser Ansicht von sich aus nicht verpflichtet, zweifelhafte Sachverhalte zu offenbaren.
Die vermittelnde Ansicht schließlich empfiehlt, zur Vermeidung strafrechtlicher Risiken die umfassende Offenbarung des einer vertretbaren rechtlichen Wertung zu Grunde liegenden Sachverhalts.
2 Die Rechtsprechung des BGH in Strafsachen
Der BGH hat entschieden, dass zumindest eine Offenbarungspflicht für diejenigen Sachverhaltselemente besteht, deren rechtliche Relevanz objektiv zweifelhaft sei. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn die von dem Steuerpflichtigen vertretene Auffassung über die Auslegung von Rechtsbegriffen oder die Subsumtion bestimmter Tatsachen von der Rechtsprechung, den Richtlinien der Finanzverwaltung oder der regelmäßigen Veranlagungspraxis abweiche. In einem dera...