Prof. Dr. Peter Bilsdorfer
Das Steuerstraf- und -ordnungswidrigkeitenrecht führt kein Eigenleben. Die Folgen einer Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit zeigen sich vielmehr auf vielfältige Art und Weise in sonstigen Bereichen des Steuerrechts.
8.1 Haftung
Nach § 71 AO haftet etwa derjenige, der eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Hinterziehungszinsen nach § 235 AO. § 71 AO kommt folglich nicht bei Vorliegen einer nur leichtfertigen Verkürzung in Betracht. Eine Haftung scheidet überdies auch dann aus, wenn der Täter der Steuerhinterziehung oder der Steuerhehlerei selbst Steuerschuldner ist.
Buchhalter hinterzieht Umsatzsteuer
Der Buchhalter D des Unternehmens E bemerkt die prekäre finanzielle Situation des Unternehmens. Da er mit der Erstellung der monatlichen USt-Voranmeldungen betraut ist, gibt er, nicht zuletzt aus Sorge um seinen Arbeitsplatz, unrichtige USt-Voranmeldungen beim Finanzamt ab. Diese enthalten zu niedrige Umsätze, um so über die "Steuerersparnis" dem Betrieb die finanziellen Mittel zu erhalten.
Obgleich hier D aus seiner Tat allenfalls einen mittelbaren steuerlichen Vorteil hatte, nämlich den Erhalt seines Arbeitsplatzes, haftet er als Täter einer Steuerhinterziehung nach § 71 AO für die verkürzten Beträge.
8.2 Hinterziehungszinsen
Als Folge einer Steuerhinterziehung können von der Finanzbehörde auch Hinterziehungszinsen festgesetzt werden. Eine derartige Festsetzung ist wiederum nur bei Vorliegen einer vorsätzlichen Steuerverkürzung möglich. Dies hat zur Folge, dass derjenige, der leichtfertig Steuern verkürzt, im Einzelfall aus der Tat einen beachtlichen Zinsvorteil erlangt, soweit dieser nicht durch die festgesetzte Geldbuße abgeschöpft wird.
8.3 Festsetzungsverjährung
Entscheidende Auswirkungen hat die Feststellung einer Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung auch im Bereich der Festsetzungsverjährung. Bekanntlich wird die Festsetzungsfrist von 3 Faktoren bestimmt, nämlich von Beginn, Ende und Dauer der Frist. Soweit eine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt, hat dies Einfluss auf den Ablauf der Festsetzungsfrist sowie auf die Fristdauer. Abweichend von der regelmäßigen Festsetzungsfrist beträgt die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO 10 Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen, oder 5 Jahre, soweit sie leichtfertig verkürzt worden ist. Dabei kommt § 169 Abs. 2 Satz 2 AO nur zum Tragen, "soweit" die Steuer vorsätzlich oder leichtfertig verkürzt wurde (Grundsatz der Teilverjährung). Somit kann es dazu kommen, dass hinsichtlich derselben Steuerart und desselben Veranlagungszeitraums unterschiedliche Verjährungsfristen bestehen.
Berechnung der Festsetzungsverjährung
Eine bei dem Steuerpflichtigen F durchgeführte Außenprüfung führt für das Jahr 2024 zu einem einkommensteuerlichen Mehrergebnis von 600.000 EUR:
Diese Mehrsteuern beruhen
- i. H. v. 200.000 EUR auf vorsätzlicher Steuerverkürzung,
- i. H. v. 200.000 EUR auf leichtfertiger Steuerverkürzung,
- i. H. v. 200.000 EUR auf unterschiedlicher Rechtsauffassung.
Bezüglich des Teilbetrags a) beträgt die Dauer der Festsetzungsfrist 10 Jahre, bezüglich des Teilbetrags b) 5 Jahre und bezüglich des Teilbetrags c) 4 Jahre.
Die Annahme der verlängerten Festsetzungsfrist ist unabhängig davon, wer die Steuerverkürzung begangen hat, es sei denn, der Steuerschuldner weist nach, dass er durch die Tat keinen Vermögensvorteil erlangt hat und dass sie auch nicht darauf beruht, dass er die im Verkehr erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen unterlassen hat. Die Tatsache einer Selbstanzeige besagt nicht, dass aufgrund der Straf- oder Bußgeldfreiheit die regelmäßige Verjährungsfrist zum Tragen käme. Vielmehr ist weiterhin genau zu prüfen, ob die Selbstanzeige eine solche nach § 371 AO oder eine solche nach § 378 Abs. 3 AO ist, da hiervon – trotz der Straf- oder Bußgeldfreiheit – die Dauer der Verjährungsfrist abhängt.
Nach § 171 Abs. 7 AO endet bei Vorliegen einer Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung die Festsetzungsfrist nicht, bevor die Verfolgung des Steuervergehens oder der Steuerordnungswidrigkeit verjährt ist. Durch diese Regelung wird über § 169 Abs. 2 Satz 2 AO hinaus der Eintritt der Festsetzungsverjährung noch weiter hinausgeschoben. Wann ein Steuervergehen bzw. eine Steuerordnungswidrigkeit verjährt, ergibt sich zum einen aus den Vorschriften der §§ 78 ff. StGB, zum anderen aus der Regelung in § 384 AO i. V. m. §§ 31 ff. OWiG. Nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB beträgt die Frist zur Verjährung der Strafverfolgung 5 Jahre, da nach § 370 AO die Steuerhinterziehung im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren bedroht ist. Die verlängerte Verfolgungsverjährung mit 10 Jahren gilt nur bei besonders schwerer Steuerhinterziehung i. S. d. § 370 Abs. 3 ...