Sachverhalt
Die EU-Kommission hatte Frankreich und Luxemburg wegen des dort geltenden ermäßigten Steuersatz auf elektronische Bücher verklagt (der Steuersatz in Frankreich beträgt seit dem 1.1.2012 (normal ermäßigt) 5,5 % und in Luxemburg (super ermäßigt) 3 %.
Bei den elektronischen (oder digitalen) Büchern handelt es sich um Bücher in elektronischem Format, die mit einem Computer, einem Smartphone, einem E Book-Lesegerät oder einem anderen Lesegerät entgeltlich über das Herunterladen oder Streaming von einer Internet-Website abgerufen werden können. Die Kommission sah in der Steuerermäßigung eine Verletzung der Verpflichtungen aus den Art. 96 und 98 MwStSystRL i.V.m. den Anhängen II und III MwStSystRL und der MwStSystRL-DV (Frankreich) bzw. aus den Art. 96 bis 99, 110 und 114 MwStSystRL i.V.m. den Anhängen II und III MwStSystRL und der MwSt-DV (Luxemburg).
Nach Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 1 MwStSystRL seien die ermäßigten Steuersätze nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III MwStSystRL genannten Kategorien anwendbar. Die Lieferung von digitalen Büchern sei in Kategorie 6 von Anhang III MwStSystRL aber nicht als Lieferung genannt, auf die ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz anwendbar sei. Auf sie sei daher der Normalsatz gemäß Art. 96 MwStSystRL anzuwenden. Dies werde bestätigt durch Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 2 MwStSystRL, der die Anwendung ermäßigter Mehrwertsteuersätze auf elektronisch erbrachte Dienstleistungen ausdrücklich ausschließe. Im Übrigen habe der Mehrwertsteuerausschuss am 9.2.2011 einstimmig Leitlinien angenommen, nach denen die ermäßigten Mehrwertsteuersätze auf die Lieferung digitaler Bücher nicht anwendbar seien. In Luxemburg sei der ermäßigte Steuersatz von 3 %, also ein Steuersatz, der unter dem in Art. 99 der MwStSystRL festgelegten Mindestsatz von 5 % liegt, für die Lieferung von elektronischen Büchern nicht von der in Art. 110 MwStSystRL erfasst, und sei auch mit Art. 114 MwStSystRL nicht vereinbar.
Entscheidung
Der EuGH hat den Klagen der EU-Kommission stattgegeben und Frankreich und Luxemburg entsprechend wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht verurteilt. Nach dem Urteil kann ein ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz nur auf die in Anhang III MwStSystRL genannten Leistungen angewandt werden. In Anhang III Nr. 6 ist die "Lieferung von Büchern auf jeglichen physischen Trägern" genannt. Der EuGH schließt daraus, dass der ermäßigte Steuersatz auf einen Umsatz anwendbar ist, der in der Lieferung eines Buches besteht, das sich auf einem physischen Träger befindet. Zwar benötigt ein elektronisches Buch, um gelesen zu werden, einen solchen physischen Träger (wie einen Computer), jedoch wird ein solcher Träger nicht zusammen mit dem elektronischen Buch geliefert, so dass die Lieferung solcher Bücher nach dem Urteil nicht in den Anwendungsbereich des Anhangs III MwStSystRL fällt.
Der EuGH weist auch darauf hin, dass es nach der MwStSysztRL ausgeschlossen ist, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf "elektronisch erbrachte Dienstleistungen" anzuwenden. Nach Ansicht des EuGH stellt die "Lieferung" elektronischer Bücher gerade eine solche Dienstleistung dar. Der EuGH weist das von den beklagten Staaten vorgebrachte Argument zurück, wonach die "Lieferung" elektronischer Bücher eine Lieferung von Gegenständen im Sinne von Art. 14 MwStSystRL (und nicht eine Dienstleistung nach Art. 24 ff. MwStSystRL) darstelle. Einzig der physische Träger, der das Lesen elektronischer Bücher erlaubt, kann als ein "körperlicher Gegenstand" angesehen werden, aber die "Lieferung" elektronischer Bücher schließt einen solchen Träger (z.B. Computer) nicht ein.
Die Kommission hatte außerdem beanstandet, dass Luxemburg (statt eines normal ermäßigten Satzes) den super ermäßigten Steuersatz von 3 % anwandte, obwohl nach der MwStSystRL Steuersätze von unter 5 % grundsätzlich unzulässig und nur im Rahmen von Übergangsregelungen möglich seien. Insoweit weist der EuGH darauf hin, dass ein Mitgliedstaat auch ermäßigte Steuersätze von unter 5 % anwenden kann, wenn diese Sätze mit dem Unionsrecht in Einklang stehen. Da der EuGH in seinem Urteil aber bereits festgestellt hatte, dass die Anwendung eines (normal) ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die "Lieferung" elektronischer Bücher nach der MwStSystRL unzulässig ist, konnte diese Voraussetzung der Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht nicht mehr erfüllt sein, so dass Luxemburg auf die Lieferung elektronischer Bücher auch nicht den super ermäßigten Steuersatz von 3 % anwenden darf.
Hinweis
Eine Vertragsverletzungsklage, die sich (wie vorliegend) gegen einen Mitgliedstaat richtet, der gegen das Unionsrecht verstoßen hat, kann von der EU-Kommission oder einem anderen Mitgliedstaat erhoben werden. Stellt der EuGH die Vertragsverletzung fest, hat der betreffende Mitgliedstaat dem Urteil unverzüglich nachzukommen. Frankreich und Luxemburg müssen somit ihre Steuerermäßigungen für elektronische Bücher unverzüglich abschaffen. Die jeweilige innerstaatliche Reaktion auf ...