11.1 Diskrepanz zwischen Anfangsverdacht und Nachweis
Anzahl und Entwicklung der Verurteilungen verdeutlichen den großen Unterschied zwischen dem Anfangsverdacht eines Steuerdelikts einerseits, der für eine Durchsuchungsmaßnahme ausreicht und in vielen Fällen angenommen werden kann und wird, sowie dem letztlich möglichen Nachweis andererseits, der zudem meist erst am Ende jahrelanger Ermittlungen steht (bzw. nicht steht). Bei der Nachweismöglichkeit wirkt sich – insbesondere bei Gericht – der Grundsatz "in dubio pro reo" aus. Zum anderen wird relevant, dass die Frage, ob wirklich alle Voraussetzungen des Tatbestands der Steuerhinterziehung erfüllt sind, nicht einfach zu beantworten ist.
Urteile und Strafbefehle wegen Steuerhinterziehung (bundesweit)
1983 |
12.081 |
1991 |
8.680 |
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1984 |
11.809 |
1992 |
8.502 |
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1985 |
11.352 |
1993 |
8.016 |
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1986 |
11.099 |
1994 |
7.927 |
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1987 |
10.379 |
1995 |
7.853 |
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1988 |
9.822 |
1996 |
7.881 |
davon Neue |
1989 |
9.833 |
1997 |
7.843 |
Bundesländer |
1990 |
9.102 |
1998 |
7.969 |
508 |
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1999 |
7.907 |
685 |
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2000 |
7.782 |
636 |
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2001 |
7.901 |
772 |
Diese Zahlen sind aus 2 Gründen besonders negativ zu bewerten: Einmal wurden Anfang der 90er Jahre in den neuen Bundesländern BuStra-Stellen und Steufa- Stellen eröffnet. Obwohl die Arbeitsergebnisse dieser zusätzlichen Dienststellen in die o. a. Bundesstatistik eingingen, änderte sich an dem traurigen Bild nichts. Darüber hinaus ist die arbeitsmäßige Überlastung der Verfolgungsorgane in Steuerstrafsachen zu berücksichtigen. Diese hat zur Folge, dass man den Umstand, dass ständig bedeutende Verkürzungsfälle eingestellt werden, dadurch ausgleicht, dass die Statistik mit "Kleinfällen" "aufpoliert" wird. Es ist deshalb davon auszugehen, dass ein nicht geringer Teil der obigen Verurteilungen "Klein- und Kleinstfälle" betrifft (z. B. Strafbefehl von 35 Tagessätzen á 30 EUR).
Das Datenmaterial wurde auch durch das BMF mehr als ein Jahrzehnt nicht mehr veröffentlicht (zu den Gründen s. o.).
Diese Verwaltungspraxis ist jedoch wieder aufgenommen worden. Im Jahr 2018 wurden in den Bußgeld- und Strafsachenstellen der Finanzämter bundesweit insgesamt 57.523 Strafverfahren abgeschlossen. Unter den 21.014 Steuerstrafverfahren, die nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurden, sind 7.052 Verfahren nach Selbstanzeigen wegen Steuerhinterziehung mit einem hinterzogenen Betrag bis 25.000 EUR. In weiteren 481 Fällen erfolgte ein Absehen von der Verfolgung in besonderen Fällen, und zwar gegen Zahlung eines Geldbetrags an die Staatskasse von insgesamt circa 11,4 Mio. EUR. Die 15.352 Einstellungen der Steuerstrafverfahren bei Erfüllung von Auflagen und Weisungen nach § 153a StPO waren mit Geldauflagen i. H. v. 57,9 Mio. EUR verbunden. Von den Staatsanwaltschaften und Gerichten wurden im gleichen Zeitraum 12.187 Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen.
Aufstockung der Steufa-Beamten
An diesem Befund würde sich allerdings auch nichts durch eine – von Steufa-Verantwortlichen kontinuierlich geforderte – Aufstockung des Steufa-Beamten-Apparats ändern. Die Schwächen sind – wie unter Tz. 2.2. dargelegt – struktureller Natur.
Letztlich handelt es sich eben auch im Strafverfolgungsbereich um Behörden; durch eine Mehrung des Beamtenapparats (und der dortigen Beförderungsstellen) ist keine Optimierung möglich.
11.2 Verfahren bei Erlass eines Strafbefehls
Die BuStra-Stellen sind befugt, in Steuerstrafsachen Anträge auf Erlass von Strafbefehlen zu stellen. Der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls hat die Wirkung der Erhebung einer öffentlichen Klage, d. h. der Strafbefehlsantrag steht einer Anklageschrift gleich. Hat der Angeschuldigte einen Verteidiger, so kann auch Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr durch Strafbefehl festgesetzt werden, wenn deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Diese Regelung ermöglicht es, auch Verfahren mit hohen Steuerverkürzungen(jenseits der maximalen Geldstrafe von 360 Tagessätzen bei einer Tat bzw. 720 Tagessätzen bei mehreren Taten, vgl. §§ 40 Abs. 1, 54 Abs. 2 StGB) im Strafbefehlsweg, d. h. ohne notwendige Hauptverhandlung, abzuschließen.
Freiheitsstrafe auf Bewährung
Entgegen der gesetzlichen Wertung, dass Freiheitsstrafen gegenüber Geldstrafen die schwereren Strafen sind, kommt es in der Praxis vor, dass Angeklagte mit niedrigen Einkünften (z. B. Hartz IV Empfänger, Insolvenz) Freiheitsstrafen auf Bewährung gegenüber der finanziellen Belastung einer Geldstrafe präferieren.
Hat der Strafrichter gegen den Erlass eines Strafbefehls Bedenken, so wird der Antrag an die BuStra-Stelle zurückgesandt; solche Bedenken beziehen sich meist jedoch nur auf geringfügige rechtliche Unstimmigkeiten (z. B. unzutreffende Darstellung der Konkurrenzverhältnisse). Im Übrigen ist die Intensität, mit der Strafbefehlsanträge der BuStra-Stelle durch die Amtsgerichte geprüft werden, von Gericht zu Gericht unterschiedlich. Häufig werden diese Anträge nicht nur formell zur Registrierung über die Staatsanwaltschaft geleitet, sondern auch noch...