Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
3.1 Sachverhalt
Bauträger B hat in der Vergangenheit erfolgreich auf ihm gehörenden Grundstücken Eigentumswohnungen errichtet und diese dann an meist private Kaufinteressenten veräußert. Da er im Laufe der Jahre eine Vielzahl verlässlicher Bauhandwerker kennen gelernt hatte und die am Markt verfügbaren unbebauten Grundstücke auch immer weniger werden, hat er sich im Sommer 2021 entschlossen, auch Reparaturarbeiten an Gebäuden am Markt anzubieten. B war aber noch unsicher, in welchem Umfang er hier Arbeiten ausführen wird, weshalb er bei seinem Finanzamt keine Bescheinigung USt 1 TG beantragt hatte.
Im Herbst 2021 gelang es B, einen größeren Auftrag für die Sanierung eines Mehrfamilienhauses zu erhalten. Für die Ausbauarbeiten hat er den deutschen Subunternehmer S beauftragt. Noch im Dezember 2021 erhält B von S eine Abschlagsrechnung über 50.000 EUR zzgl. 9.500 EUR Umsatzsteuer, die er noch im Dezember beglichen hat.
Da B Anfang 2022 feststellt, dass er in 2021 ca. 12 % seines weltweiten Umsatzes im Bereich der neu angebotenen Reparaturarbeiten ausgeführt hat, beantragt er zeitnah bei seinem Finanzamt die Bescheinigung USt 1 TG, die er auch umgehend erhält. Nach Vorlage der Bescheinigung USt 1 TG erstellt S dem B die Schlussrechnung für die Ausbauarbeiten über nochmals 50.000 EUR zzgl. 9.500 EUR Umsatzsteuer.
3.2 Fragestellung
B möchte wissen, welche umsatzsteuerrechtlichen Folgen sich für ihn aus den genannten Sachverhalten ergeben.
3.3 Lösung
B ist Unternehmer nach § 2 Abs. 1 UStG, da er Leistungen selbstständig, nachhaltig und mit Einnahmeerzielungsabsicht ausführt. Mit den gegenüber seinen Auftraggebern ausgeführten Leistungen wird er auch im Rahmen seines Unternehmens tätig. Durch die seit 2021 ausgeführten Reparaturarbeiten hat B den Rahmen seiner unternehmerischen Betätigung erweitert.
In 2021 war B noch nicht als "bauleistender Unternehmer" i. S. d. § 13b Abs. 5 Satz 2 UStG anzusehen, da er weder im vorangegangenen Kalenderjahr mindestens 10 % seiner weltweit ausgeführten Leistungen im Bereich von Bauleistungen ausgeführt hatte, noch nach Aufnahme der neuen Tätigkeit abzusehen war, dass er diese Grenze in 2021 überschreiten würde.
Bauträgerumsätze sind keine Bauleistungen
Die Umsätze, die B als Bauträger ausführt, sind keine Bauleistungen i. S. d. § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG. Wenn B auf eigenen Grundstücken Gebäude errichtet und diese Gebäude dann ganz oder teilweise (hier als Eigentumswohnungen) veräußert, erbringt er reine Lieferungen (Verschaffung der Verfügungsmacht über die Grundstücke bzw. Grundstücksteile). In den Anwendungsbereich des § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG fallen aber nur Werklieferungen und sonstige Leistungen. Eine Werklieferung setzt voraus, dass ein fremder Gegenstand be- oder verarbeitet wird.
Wenn aber B (ab 2022) als bauleistender Unternehmer nach § 13b Abs. 5 Satz 2 UStG gilt – er hat dann im vorangegangenen Kalenderjahr mindestens 10 % seiner weltweit ausgeführten Leistungen als Bauleistungen erbracht –, wird er für alle ihm gegenüber ausgeführten Bauleistungen (auch die Bauleistungen, die er für seine Bauträgerumsätze verwendet) zum Steuerschuldner nach § 13b UStG.
Die Leistungen des Subunternehmers S sind im Inland steuerbare Leistungen, die auch keiner Steuerbefreiung unterliegen. Mit den von S ausgeführten Ausbauarbeiten werden gegenüber B zwar Bauleistungen i. S. d. § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG erbracht, da B aber zum Zeitpunkt der Zahlung der Abschlagsrechnung nicht als bauleistender Unternehmer anzusehen war, war S der Steuerschuldner für die von ihm vereinnahmte Anzahlung.
Die Umsatzsteuer entsteht für S, da eine Leistung oder Teilleistung im Dezember 2021 noch nicht ausgeführt worden ist, mit Zahlung (Anzahlungsbesteuerung).
Bei Ausführung der Leistung in 2022 gilt B als bauleistender Unternehmer i. S. d. § 13b Abs. 2 Nr. 4 i. V. m. Abs. 5 Satz 2 UStG, da er im Vorjahr mindestens 10 % seiner weltweit ausgeführten Umsätze als Bauleistungen erbracht hat; er kann dies auch gegenüber seinem Vertragspartner durch die Bescheinigung USt 1 TG nachweisen. Für die in 2022 gegenüber B ausgeführte Leistung wird jetzt B zum Steuerschuldner, die in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer ist eine unrichtig nach § 14c Abs. 1 UStG ausgewiesene Umsatzsteuer, die zwar der Rechnungsaussteller S nach § 14c Abs. 1 UStG schuldet, die aber B nicht als Vorsteuer abziehen kann. Darüber hinaus schuldet B für die ihm jetzt gegenüber ausgeführte Leistung die Umsatzsteuer nach § 13b UStG. Die Bemessungsgrundlage beträgt nach § 10 Abs. 1 UStG 50.000 EUR.
B schuldet damit 9.500 EUR, die er im Monat der Ausstellung der Rechnung gegenüber seinem Finanzamt anmelden muss. Da er mit den Bautätigkeiten offensichtlich selbst keine vorsteuerabzugsschädlichen Ausgangsleistungen bewirkt, kann der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG vorgenommen werden.
Keine Änderung der Besteuerung der Anzahlung
Früher war umstritten, wie mit der in 2018 vereinnahmten Anzahlung umzugehen sei. Die Finanzverwaltung vertrat die Rechtsauffassung, das...