Um gegen externe Schocks (wie Corona) zukünftig besser gewappnet zu sein, braucht es ein verbessertes Risikomanagement in der Supply Chain. Wohl wissend, dass hohe Bestände Working Capital vernichten, ist ein Sicherheitsbestand strategisch wichtiger oder knapper Ressourcen in Krisenzeiten unabdingbar. Mit dem Business Continuity Plan und dem Supplier-Rating-System stehen zwei Hilfsmittel zur Verfügung, welche die Identifikation kritischer Supply-Chain-Prozesse begünstigen.

2.1 Business Continuity Plan

Business Continuity Plans sind Notfallpläne, welche Unternehmen rasch heranziehen, wenn es darum geht, kurzfristig die Betriebsbereitschaft der Organisation aufrecht zu erhalten. Zwar existierten diese Dokumente auch schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie, aber die Akteure rechneten nicht mit einer derartigen Langfristigkeit der Krise. In den Notfallplänen werden besonders kritische Prozesse identifiziert, die zur Wahrung der Betriebsabläufe unverzichtbar sind.[1] Im Kern geht es darum, die Unternehmensprozesse den jeweiligen Ausnahmesituationen flexibel anzupassen. Die Ursachen einer Störung müssen schnellstmöglich erkannt und Abstellmaßnahmen automatisch eingeleitet werden. Mögliche Stellhebel innerhalb von Business Continuity Plans sind:

  • Welche Kunden werden im Bedarfsfall priorisiert beliefert?
  • Sind Back-up-Lieferanten unmittelbar verfügbar?
  • Können kurzfristig Lagererweiterungen vorgenommen werden?
  • Stehen alternative Transportrouten zur Verfügung?
  • Welche Kommunikationsmaßnahmen werden im Störfall eingeleitet?

Ein Business Continuity Plan sollte einerseits die Widerstandsfähigkeit einer Organisation erhöhen. Dabei geht es darum, Störungen antizipativ möglichst zu vermeiden oder – wenn sie nicht zu verhindern sind – ihre Auswirkungen auf die Organisation einzudämmen. Andererseits sollen Business Continuity Plans die Wiederherstellungsfähigkeit eines Unternehmens verbessern. Zur Erholung gestörter Supply Chains müssen die Akteure möglichst rasch ihre Abläufe stabilisieren und schnellstmöglich zu früheren Prozessen zurückfinden. Um Widerstands- und Wiederherstellungsfähigkeit zu erreichen, ist es ratsam, Auswirkungsszenarien zu erstellen.[2] Diese Zukunftsbilder umfassen 3 bis 5 Seiten und leiten sich aus Hunderten von Projektionen ab. Die Prognose erfolgt über 5 bis 10 Jahre und berücksichtigt mögliche Störereignisse (Krieg, Pandemie, Naturkatastrophe). Für besonders relevante Supply-Chain-Prozesse sind 5 oder 6 Szenarien niederzuschreiben. Die Fälle Best-Case, Worst-Case und Most-probable-Case sind dabei zwingend abzudecken.

[1] Vgl. Blokdyk, 2021, S. 33.
[2] Vgl. Fink/Siebe, 2016, S. 15.

2.2 Supplier Rating System

Die Modernisierung des Risikomanagements in Supply Chains führt auch zu einer veränderten Lieferantenbewertung. Beim Supplier Rating wird der individuelle Nutzwert eines Lieferanten ermittelt, um seine Leistungsfähigkeit festzustellen. In die Bewertung fließen Kriterien wie finanzielle Stabilität, Innovationsgrad, Einkaufspreis, Lieferverzugsquote oder Verpackungsqualität ein. Abb. 1 zeigt beispielhaft den Aufbau eines Supplier-Rating-Systems. Für jedes Kriterium wird ein relativer Gewichtungsfaktor vergeben (z. B. erhält der Einkaufspreis einen Gewichtungsanteil von 15 %). In diesem Beispiel wurde der Lieferant mit 3,17 Punkten bewertet. Maximal kann jeder Lieferant einen Wert von 5,00 Punkten erreichen. Ziel des Supplier Ratings ist es, die Lieferanten systematisch zu typisieren. Diese können bspw. in folgende Cluster unterteilt werden (in Klammern stehen die Vorgaben der maximal erreichbaren Punkte):

  • Supreme Supplier (≥ 90 %),
  • Standard Supplier (≥ 70 % bis < 90 %),
  • Poor Supplier (≥ 50 % bis < 70 %) und
  • Desourced Supplier (< 50 %).

Zur Messung und Stärkung der Widerstandsfähigkeit von Lieferanten in der Supply Chain werden in dieses Screening die Faktoren "Reaktionsverhalten im Krisenfall" (15 %) sowie "Robustheit der IT-Systeme" (10 %) aufgenommen und entsprechend stark gewichtet. Die Bewertung der Lieferanten erfolgt durch den zuständigen Commodity-Einkäufer (Warengruppenmanager). Der Supply Chain Controller sollte in diesen Prozess eng eingebunden sein. Allein schon, um das (Supply Chain) Management frühzeitig auf mögliche Lieferantenengpässe hinzuweisen, die zur Destabilisierung der Wertschöpfungskette führen könnten.

Grundsätzlich ist für die Realisierung eines effektiven Supply Chain Risk Managements eine enge Kooperation mit ausgewählten Logistikpartnern wünschenswert. Im Idealfall erfolgt die Sendungsverfolgung der Akteure in Echtzeit (Realtime-Scheduling). Um dies zu ermöglichen, eignet sich der Einsatz moderner Identifikationstechniken wie RFID oder dem mehrdimensionalen Barcode. Zu empfehlen ist weiterhin die Nutzung von Alert-Systemen, die bei einer Störung rasch "Alarm" schlagen und betroffene Partner zeitnah warnen.

Abb. 1: Supplier Rating System (Beispiel)[1]

[1] In Anlehnung an Werner, 2020, S. 191.

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