Leitsatz
Der Gewinn aus der Aufgabe eines Betriebs unterliegt auch dann der Tarifbegünstigung gemäß § 34 EStG, wenn zuvor im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Betriebsaufgabe eine das gesamte Nennkapital umfassende Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft zum Buchwert in ein anderes Betriebsvermögen übertragen oder überführt worden ist.
Normenkette
§ 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2, Abs. 3, § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 EStG
Sachverhalt
Aus einer Ein-Mann-GmbH & Co. KG schied die Komplementär-GmbH aus. Gleichzeitig stellte die KG ihren Geschäftsbetrieb ein und ihr Vermögen wurde vom Gesellschafter in dessen Privatvermögen übernommen. Zum Sonderbetriebsvermögen des Gesellschafters bei der KG hatte neben der Beteiligung an der Komplementär-GmbH auch noch die 100 %ige Beteiligung an einer wertvollen Betriebs-GmbH gehört. Beide GmbH-Anteile überführte der Gesellschafter zum Buchwert in sein Sonderbetriebsvermögen bei einer zweiten KG.
Das FA beurteilte den Vorgang als Betriebsaufgabe der KG und wies den Gewinn dem Gesellschafter zu. Dabei lehnte es ab, den Gewinn als tarifbegünstigt festzustellen, weil infolge der Buchwertüberführung der GmbH-Anteile nicht alle stillen Reserven des Betriebsvermögens der KG aufgedeckt worden seien. Diese Auffassung wurde vom FG (FG Nürnberg, Urteil vom 19.6.2012, 6 K 633/10, Haufe-Index 3233338) gebilligt.
Entscheidung
Der BFH war anderer Ansicht und stellte den Aufgabegewinn als tarifbegünstigt fest. Die Veräußerung eines 100 %igen GmbH-Anteils sei einer Teilbetriebsveräußerung nach § 16 EStG gleichgestellt; beide Vorgänge führten zu tarifbegünstigten Gewinnen. Danach sei das neben einer 100 %igen GmbH-Beteiligung bestehende Betriebsvermögen ebenfalls als Teilbetrieb anzusehen und dessen Veräußerung bzw. Aufgabe unabhängig von dem Schicksal der GmbH-Beteiligung tarifbegünstigt.
Hinweis
1. Das Urteil schließt an frühere Entscheidungen aus den Jahren 2008 und 2010 an, in denen die Liquidation einer zum Betriebsvermögen gehörenden 100-%igen GmbH-Beteiligung trotz Fortsetzung des verbleibenden Betriebs (BFH, Urteil vom 16.10.2008, IV R 74/06, BFH/NV 2009, 725) und die Veräußerung eines Mitunternehmeranteils nach Buchwertausgliederung einer von der Personengesellschaft gehaltenen Beteiligung an einer Tochter-Personengesellschaft (BFH, Urteil vom 25.2.2010, IV R 49/08, BStBl II 2010, 726) als tarifbegünstigt beurteilt worden waren.
2. Allen drei Entscheidungen liegt die Ausgangsüberlegung zugrunde, dass die Veräußerung bzw. Aufgabe der in § 16 Abs. 1 EStG genannten Sachgesamtheiten jeweils für sich genommen zu einem tarifbegünstigten Gewinn führt. Dies muss auch dann gelten, wenn mehrere der dort genannten Sachgesamtheiten miteinander zu einem Gesamtbetrieb gehören, wie sich eindeutig aus der Tarifbegünstigung der Teilbetriebsveräußerung ergibt.
Umgekehrt ist daraus zu schließen, dass die Tarifbegünstigung des Teils des Gesamtbetriebs, der nicht eine eigenständig begünstigte Sachgesamtheit bildet, nicht davon abhängt, was mit den zum Betriebsvermögen gehörenden Sachgesamtheiten geschieht. Insbesondere müssen die in jenen Sachgesamtheiten ruhenden stillen Reserven nicht aufgedeckt werden. Wird also ein Teilbetrieb veräußert oder aufgegeben, während der andere Teilbetrieb ohne Aufdeckung der stillen Reserven weiter besteht (und damit zu einem ganzen Betrieb wird), ist der Veräußerungsgewinn tarifbegünstigt.
3. Eine Besonderheit des § 16 EStG besteht darin, dass eine zum Betriebsvermögen gehörende 100 %ige Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft als Teilbetrieb behandelt wird (§ 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG). Daraus zieht der BFH den Schluss, dass das übrige Betriebsvermögen den einen Teilbetrieb und die 100 %ige Beteiligung den anderen Teilbetrieb ausmacht. Für die Tarifbegünstigung des Gewinns aus der Veräußerung oder Aufgabe des aus dem übrigen Betriebsvermögen bestehenden ersten Teilbetriebs ist danach nicht erforderlich, dass die stillen Reserven in der Kapitalbeteiligung aufgedeckt werden. Deshalb blieb im Urteilsfall die Buchwertüberführung der Beteiligungen aus dem Sonderbetriebsvermögen bei der aufgegebenen KG in ein anderes Sonderbetriebsvermögen bei einer anderen Mitunternehmerschaft ohne Konsequenzen für die Tarifbegünstigung des Gewinns aus der Betriebsaufgabe der KG.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 28.5.2015 – IV R 26/12